Wichtig ist auf welchem Platz

Der Berg der Berichte über Apples iPad hat einen Gipfel erreicht, wenn es nicht gar ein Gipfelkreuz ist, was Frank Schirrmacher in der FAS in der ihm eigenen Art unter dem Titel „Die Politik des iPad“ (leider noch nicht online) in einem überragend verwirrten wie verwirrenden Text gemacht hat. Am Ende ist es allerdings durchweg wie bei iPod und iPhone vorher: Es findet die Betrachtung von technischen Daten statt (und wie bei jedem Apple-Gerät wird festgestellt, dass sich die Faszination aus den Daten nicht ableiten lässt) und direkt im Anschluss die bizarre, pseudophilosophische Debatte aus der das Feuilleton hierzulande eine Daseinsberechtigung über die Kritik konsumierbarer Kultur hinaus ableitet. Wir bekommen die politischen Auswirkungen eines Computers erklärt, den weder wir noch die Rezensenten je in der Hand gehalten haben. Es ist drollig. Allerdings finde ich es auch ein gutes Stück weit überheblich, vor allem, weil ich keinen einzigen Text gefunden habe, der sich mit der echten Neuerung auseinander gesetzt hat, die das iPad möglicherweise für Mediennutzer bringt, und die am Ende die echte Neuerung für uns Medienschaffende bedeuten könnte (und damit, nebenbei, uns allen den Arsch retten). Ich habe – auch nach wirklich vielen Gesprächen, die ich im letzten Jahr oder so zu den Themen Print, Online und Tablet-PCs geführt habe – das Gefühl, es liegt daran, dass sich viele Verantwortliche diese Gedanken gar nicht machen. Ich halte es für fahrlässig, aber irgendwie auch für verständlich. Spätestens seit Steve Jobs‘ Keynote aber müsste es eigentlich mit der Gedankenlosigkeit vorbei sein, denn Jobs hat die „Killer-App“ seines iPad klar benannt – und es ist keine App.

Es ist das Allererste, das Jobs sagt, als er sich auf der Keynote mit dem Gerät hinsetzt um es zu demonstrieren: „Dieses Ding zu benutzen ist bemerkenswert. Es ist so viel intimer als einen Laptop zu benutzen.“ Das ist er, der entscheidende Punkt. So viel intimer. Es ist vollkommen unverständlich, warum über diesen Punkt in Verlagen nie gesprochen wird, aber der Schluss drängt sich auf, dass sich Verlage über die Produkte, die sie verkaufen, erstaunlich wenig Gedanken machen.
Bis heute hört man viele als feststehende Wahrheiten begriffene Sätze wie „Die Leute lesen keine langen Texte im Internet“. Es wird teilweise sogar als letztes Rückzugsgebiet der Zeitschrift missverstanden (wie beim Focus, wo der irrwitzig dünne Versuch eines Relaunchs gerade das letzte bisschen eigene Identität getötet hat, was auch immer man von dieser Identität gehalten haben mag). Dabei ist die Länge von Texten zunächst einmal vollkommen irrelevant. Tatsächlich aber habe ich noch nie, weder in Print- noch in Online- noch in integrierten Redaktionen irgendeinen Gedanken dazu gehört, dass die Produkte ganz offensichtlich an völlig unterschiedlichen Orten gelesen werden müssen: Während man zum Beispiel Zeitschriften in der U-Bahn, auf dem Klo oder im Mitarbeiterzimmer beim Frühstück liest, werden die meisten Online-Texte im Büro gelesen, jedenfalls an einem Computer und in sehr vielen Fällen aufrecht sitzend, vollständig bekleidet und nicht selten im Blickfeld von Kollegen. Journalisten können und wollen sich eine Welt wahrscheinlich nicht vorstellen, in der man an seinem Schreibtisch nicht den Playboy lesen kann, die komplette Süddeutsche oder den Spiegel, aber für den größten Teil der Bevölkerung ist es Realität. Allein die in Redaktionen durchaus bekannte Tatsache, dass Videos im Netz (die ja auch mal als der ganz große, heiße Scheiß für Nachrichtenseiten galten) eher abends als tagsüber gesehen werden hätte den Gedanken anstoßen können: Wenn die Medien in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen konsumiert werden, muss das dann nicht Auswirkungen auf den Inhalt haben?
So viel intimer: Aus diesem Satz – von dem ich glaube, dass er stimmt und dass er den wahren Unterschied zwischen dem iPad und jeder Art Laptop ausmacht – folgt eine Menge. Denn Intimität war unter anderem für Zeitschriften aus meiner Sicht ein definierendes Element.
Zeitschriften haben ihren Lesern die große, weite Welt gezeigt und ihnen dabei auch neue Welten eröffnet, sie haben sie mit wohligem Schauern erfüllt, mit Betroffenheit, Faszination, sie mit Freude erfüllt und mit Angst, ihnen in manchen Fällen Hoffnung gegeben und in anderen, in denen sie nahezu Unbegreifliches zu erklären oder zumindest nachvollziehbar gemacht haben, auch über Trauer hinweg geholfen. Zeitschriften werden, genau wie Fernsehnachrichten, emotional verstanden und verarbeitet. Der überwiegende Teil der Zeitschriften beschäftigt sich außerdem mit Hobbies und anderen Themen, die ihre Leser lieben und die ihnen deshalb ohnehin nah sind. Und wenn Henri Nannen von Lieschen Müller als der typischen Stern-Leserin gesprochen hat, dann hat er vor allem den Fehler umgangen, an dem heute der größte Teil der aktuellen Medien krankt: Das Überschätzen des Informationsstandes des Lesers bei gleichzeitigem Unterschätzen der Urteilsfähigkeit. Die meisten Menschen interessieren sich nicht für jeden Winkelzug der Politik. Sie können trotzdem sehr vernünftige (Wahl-) Entscheidungen treffen – oft aus einem Gefühl heraus. Das ist nichts Schlechtes: Emotion ist nichts anderes als eine Reaktion auf der Grundlage von zu vielen über die Jahre erlernten Emotionen, als das wir sie noch einzeln benennen könnten. Wer einen Leser intellektuell nicht unterfordert (wie es das Boulevard-System tut) und gleichzeitig emotional engagiert, der transportiert Informationen auf dem höchsten möglichen Niveau. Gute Dokumentarfilme können das in einzigartiger Weise – vor allem im Kino. Manche Bücher auch. Und Zeitschriften, wenn sie wirklich gut gemacht sind. Natürlich gibt es auch Online-Erzählformen, die eine ähnliche Qualität haben, aber auch sie leiden unter dem Abstand, den der Leser von dem Bildschirm hat. Oder eben: hatte. Bis jetzt.
Das ist eine gigantische Chance für die Produzenten von journalistischen Inhalten. Ich habe an dieser Stelle schon gesagt, dass ich glaube, die meisten Verlage werden diese Chance wieder einmal mit technischen Spielereien verschenken, aber dieses Mal ist noch etwas ganz anders geworden: Zum ersten Mal, seitdem das Internet Mainstream geworden ist, besteht tatsächlich die Chance für neue Unternehmen, sich einen Markt zu schaffen. Bisher waren im Netz ja nur die Verlängerungen klassischer Medienmarken leidlich erfolgreich, ganz neue Wettbewerber sind regelmäßig an der Tatsache verzweifelt, dass sie sich bei den Usern nicht als zuverlässige Lieferanten der gewünschten Inhalte verankern konnten. Bekannte Marken haben es da nicht nur einfacher, sie erfüllen eben die eine entscheidende Voraussetzung, die online bisher offenbar nicht aufzuholen war: Sie stehen dem User nah (Einschub: Ich weiß, dass sich die Nutzergruppen von Online- und Print-Produkten einer Marke manchmal kaum überschneiden, aber ich bin trotzdem davon überzeugt, dass die Marke den reinen Online-Usern ein Gefühl für die Seite gibt, das in Wahrheit mehr aus der Tradition der Marke denn aus den tatsächlichen Inhalten getriebenist. Auch beim 20-jährigen Spiegel-Online-Leser schafft die Marke Spiegel Vertrauen, selbst wenn er das gedruckte Heft nie liest).
Kaum einer Online-Medienmarke ist es bisher gelungen, mit seinen Lesern intim zu werden im Jobs’schen Sinne. Das kann sich nun ändern durch dieses Gerät, mit dem wir das Internet „in der Hand halten“. Denn wir dürfen nicht vergessen: Medien erzählen den Menschen Geschichten von Mord und Totschlag, von Katastrophen und Grausamkeiten, von Angriffen auf ihre Freiheit, ihre Sicherheit oder ihr Geld. Wir wissen, dass Kinder die Grausamkeiten in Grimms Märchen gut abkönnen, wenn ihre Eltern sie ihnen vorlesen, sie dabei also in Sicherheit sind. Wir wissen, wie wichtig die Anchorman der Nachrichtensendungen sind, die uns gleichzeitig mit den Nachrichten über das Elend und die Gefahren der Welt allein durch ihr Gesicht auch die tröstliche Sicherheit vermitteln, dass die Welt morgen noch existieren wird und irgendwie alles gut kommt. Verdammt, wir wissen, dass Günther Jauch der bestbezahlte Journalist des Landes ist – ein Gesicht, dass dafür steht, dass die Welt doch noch irgendwie normal ist. Kurz: Emotion. Sie ist ein Teil des Inhalts. Nicht nur als Abkürzung für den schäbigen Teil des Boulevards, der den Intellekt ausblendet, sondern gleichberechtigt neben der sachlichen Information. So merkwürdig es klingt: Vielleicht ist es ein entscheidender Schritt, dass wir das Internet mit aufs Klo nehmen können.
Und, übrigens: Ich glaube es nicht, aber ich kann auch nicht ausschießen, dass Frank Schirrmacher das mit den Emotionen verstanden hat und seine verwirrten und verwirrenden Texte schreibt, um Menschen wahnsinnig aufzuregen. Ich jedenfalls habe seinen zweimal gelesen, insofern war er einmal mehr erfolgreich.

24 Antworten auf „Wichtig ist auf welchem Platz“

  1. Ich kann das zwar für mich selbst überhaupt gar nicht nachfühlen, aber ich glaube trotzdem, dass es zum großen Teil stimmt.
    Wobei immer noch das Problem bleibt, dass man – soweit ich das anhand der Fotos erkennen kann – eigentlich doch drei Hände braucht, um das iPad vernünftig zu bedienen. Oder?

  2. Ha! Kann sein. Was ich viel schlimmer finde: Wenn man sich damit ins Bett legt, dreht sich im Zweifel das Bild. Insofern verlange ich eine Abschaltfunktion für die Landscape-Mode. Nur, wie gesagt: All das sind Ratespiele. Wir werden es sehen. Ich weiß allerdings schon: Ich werde das Ding haben wollen.

  3. @muriel: Hatte ich eigentlich schon gesagt: Du kannst unfassbar schnell lesen! Das war ja höchstens zwei Minuten online …

  4. Hab deinen Text wie immer gerne gelesen, auch wenn ich den Optimismus unmittelbar nach der Keynote nicht ganz teilen konnte. Als erstes Apple-Produkt seit Jahren löst das Ding bei mir keinerlei Kaufimpuls aus. Was mir ein Kollege so glaubhaft erklärt hat: Es ist gar nicht für uns Vollnerds und ÜberGeeks gemacht. Wir haben iPhones, Laptops und WLAN auf dem Klo. Ich brauche neben Smartphone und Laptop nicht noch einen Zwischenschritt.. Es ist vielmehr dafür da, das Oma und Opa auch mal dieses „Internet“ sehen können, mit dem ihre Enkel so viel zu tun haben. Und dafür könnte dieses minimalistische Bedienkonzept ideal sein – Für jeden Arbeitsschritt (Musik hören, eMails, Netzsurfen) gibt es eine App die genau das tut, nicht mehr oder weniger. (Hallo, kein Multitasking..) Das könnte sogar meiner Mutter die Angst vor Computern nehmen. (Sie denkt immer, sie würde etwas kaputt machen.) Wenn es klappt, einen Markt für digitalen Journalismus aufzubauen, den auch die Generation nutzt, die es noch gewohnt war für Informationen Geld auszugeben, (und noch Geld hat 🙂 ) könnte das tatsächlich aus einem erstmal ziemlich unbeeindruckendem Gerät einen weiteren Geniestreich machen. Hoffen wir das Beste, ich würde liebend gerne in Zukunft für ein multimediales ePaper Inhalte produzieren.

  5. @Mikis: Ach, Quatsch, wer sagt denn, dass ich deine Texte vorher lese? Ich kommentiere hier einfach nur, um mich wichtig zu machen und Leser auf meine Seite zu locken.
    (Angeblich soll Ironie im Internet ja nicht funktionieren, aber ich habe das nie geglaubt.)

  6. @Muriel: Danke, das ehrt mich!
    @Tim: Und ich bin mir absolut sicher, dass jeder Nerd eins wird haben wollen, weil es eben gar nicht um die Technik geht, sondern um das Erlebnis – das Internet in der Hand usw. Und für mich ersetzt es zumindest auf kurzen Reisen (in Verbindung mit der IR-Tastatur wahrscheinlich) den Laptop und möglicherweise auch noch den Kindle. Das sind zwei Kilo Gewicht und weniger Zeug und sensible Daten, bei denen man Angst haben muss, dass sie geklaut werden.

  7. Jasu,

    spannender Ansatz. Und bei mir entsteht automatisch die Frage: Wie genau sieht die Chance für neue Content-Produzenten aus, die die User in ihren intimen Momenten emotional abholen?
    Und ja, falls ich es wüsste, würde ich es genau wie Du hier auch nicht posten ;o)

    Gruß nach HH!
    AK

  8. hej,
    schöner Artikel, glaube ja auch, dass es ein Erfolg wird. Die Potenz, die in dieser Kategorie steckt, wird sich langsam aber gewaltig entfalten. Für mich wird kaufentscheidend sein, ob ich auf dem Ding lange augenfreundlich lesen kann. Auf dem Kindle geht das, ob ein leuchtendes, buntes Display das auch bietet bleibt zu erproben. Irre finde ich, dass all die Kommentatoren darübner schreiben ohne es real ausprobiert zu haben. Wenns nach kurzer Zeit – wie bei jedem Laptop oder Netbook – in den Augen kneift, wirds bei mir nicht punkten können und ich bliebe dann weiterhin bekennender Internetausdrucker.
    Gruß, Ingo

  9. Für die Augen der Journaille ist der iPad eine der letzten Möglichkeiten, bezahlten Content für das Internet zu erzeugen (ähnlich wie die Apps beim iPhone). Deshalb wird sie dieses technische Spielzeug auf Teufel komm ‚raus hochschreiben!

  10. @wilko0070: Aber nützen wird das nichts. In memoriam Bob Marley: Man kann ein paar Leute manchmal verarschen, aber nicht alle Leute immer …

  11. Spannende Sichtweise, wie immer hier.
    Obwohl ich mich überhaupt nicht in der Mac-Zielgruppe fühle (zu arm, zu Nerd) denke ich, Du triffst da genau den Punkt, der mich auch reizt. Schon meinen Laptop habe ich vor allem in der Annahme gekauft, dann in gemütlichen, intimen Situtionen den Computer und das Internet nutzen zu können, aber da funktioniert das nicht wirklich bequem.
    Ich warte jetzt noch 10 Jahre, bis es sowas bezahlbar und konfigurierbar (und mit Linux?) gibt, und dann, ja, dann kaufe ich wahrscheinlich sogar allen möglichen Content, wenn es ein vernünftiges Bezahlmodell gibt (was übrigens der Teil ist, der mich am meisten davon abhält. Ich würde, glaub ich, mein ganzes Geld bei Donate-Now-Buttons im Internet lassen, jedesmal wenn ich begeistert bin, wenn man dafür nicht ständig Paypal oder Kreditkarte bräuchte.)

  12. Ausserdem kostet paypal mindestens 35 Cent gebühren. Allerdings kannst du anders Spenden: Indem du die Werbung anguckst, die dir am meisten zusagt. Natürlich wäre es betrug und einigermaßen sinnlos, einfach wild und missbräuchlich auf werbung zu klicken, weildas in den google-Computern sicher ein verdächtiges Muster hinterlässt und der seitenbetreibwr irgendwann aus adsense fliegt, aber im Prinzip bezahlen Leser den seitenbetreiber ja mit Aufmerksamkeit. Wenn sie also, nach dem begeisterten lesen, noch ein paar Minuten den informationn der Sponsoren widmen, dann ist allen gedient (allerdings nur, wenn das echt Aufmerksamkeit ist…). Ich habe gestern auf einem Blog den Hinweis gelesen: wer auf Werbung klickt kommt in den Himmel. Das allerdings glaube ich dann wieder nicht (bitte entschuldige die Rechtschreibung, ich tippe auf dem Telefon. Das ipad gibt es ja noch nicht). und, PS: Glückwunsch zu deinem Blog! Wunderschön geworden!

  13. Verwirrt und verwirrend? Mitnichten. Jedenfalls nicht in Relation zu z.b. seiner Rezi des Baader-Meinhoff Films. DIE war irre. In dieser Debatte drückt sich Schirrm noch relativ klar und zurückhaltend aus. Es spielt auch eigentlich keine Rolle, ob man das Gerät bereits in der Hand gehabt hat oder nicht: das Prinzip der Nutzung und der zentralen Contentverwaltung steht zur Debatte, nicht das Gerät selbst. Dieses Prinzip wird sich durchsetzen und Menschen die techsick sind, oder die gerade werden, in seiner Einfachheit ausreichend ansprechen. Über den Anteil, der für Contentanbieter dabei abfällt sagt das aber nichts aus. Wobei ich den us-medien dabei mehr zutraue als den deutschen. Weniger zögern, kein stress durch buchpreisbindungsblödsinn, etc. Die restaurative schiene vieler verlegerfamilien in den vergangene Jahren hat einfach zuviel kaputt gemacht. Einzig Döpfner und seinem Kettenhund Kesse traue ich zu, Inhalte kurzfristig gut portieren zu können und auch entsprechend zu vermarkten.

  14. Mir ist diese ganze Apple-Begeisterung ziemlich suspekt. Ich finde das nahezu i-religiös. Keiner hat das iPad je direkt gesehen, aber die Gemeinschaft der Apple-Jünger feiert seine Epiphanie und speziell Journalisten und Verlage glauben inbrünstig, dass es sie vom schlecht oder gar nicht bezahlten Webcontent erlösen wird. Komisch, das die Tablet-Computer anderer Hersteller wesentlich nüchterner betrachtet werden. Deren Anhänger sind wohl nicht so exaltiert.

    Ich bin da eine Art ungläubiger Thomas. Bevor ich das Teil nicht selbst in der Hand gehalten und mit ihm herumprobiert habe, ist alles, was darüber geschrieben wird, bestenfalls eine Nachricht vom Hörensagen (derzeit sind es sogar nur Tertiärquellen, denn von denen, die darüber schreiben, hat noch keiner das iPad in der Hand gehabt). Gar nicht zu reden von den Prophezeiungen und Gleichnissen verzückter Apple-Jünger, die sich einbilden, ihnen sei das elektronische Evangelium nach Steven offenbart worden, weil sie den Jobs-Auftritt live verfolgt haben.

    Wenn Jobs also sagt, das iPad sei soooo intim, kann ich nur sagen, der Mann ist befangen. Ich kann mich auch mit einem Notebook aufs Klo setzen. Wenn Intimität der Maßstab wäre, hätte das iPhone das iPad schon vor dessen Erfindung überflüssig gemacht, weil es nämlich ein kleineres Display hat. Jeder Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs weiß, wie leicht man die Zeitung seines Nachbarn mitlesen kann und wie schwer das wird, wenn der Lumich mit einem Smartphone hantiert. Wer im vergangenen Jahr mehr als drei „Playboy“ lesende Zeitgenossen in der U- oder S-Bahn sitzen sehen hat, kann sich gern melden.

    Ich habe den Verdacht, dass Wilko0070 Recht hat. Viele Journalisten fühlen sich vom unbezahlten Webcontent im Internet irgendwie bedroht und anscheinend glauben viele, wenn ihnen da einer helfen kann, dann Apple. Und weil sie mehr oder weniger bewusst wollen, dass das klappt, schreiben sie dem iPad schon mal die dafür nötigen Metaeigenschaften zu, egal ob sie das Ding nun kennen oder nicht. Sicher hat Steve Jobs eine Reihe genialer Produkte auf den Markt gebracht. Doch das ist keine Garantie dafür, dass das iPad das nächste ist. Ich finde es einfach befremdlich, dass diese Frage derzeit kaum eine Rolle spielt. Man untersucht nicht, ob die Antwort ja lautet, sondern, welche Folgen es hat, dass sie ja lautet. Ich dachte immer, da schreiben Journalisten. Aber man muss erstaunlich lange suchen, bis man einen Vergleich des iPad mit anderen Produkten findet und welche stehen dann an erster Stelle? – iPhone und iPod. Na Klasse, als ob Apples nicht mit Pears zu vergleichen wären.

    Vielleicht bin ja wirklich ein kleinkarierter Spielverderber, aber wichtig ist erst einmal nicht auf welchem, sondern überhaupt aufm Platz und da muss sich Jobs noch genauso beweisen wie Ballmer. – Oder war dieser Vergleich ein Sakrileg? – Bis dahin werden wir uns noch viel Orakelgeplapper von Computer-Theologen wie Schirrmacher anhören müssen, aber die wissen auch nicht mehr als wir über die Sozialstruktur, das Denken und Fühlen, die Menschheit, das Internet und die umliegenden Ortschaften.

  15. @royse: Danke für die Muffelei, aber du machst es wieder genau exakt falsch: Es geht nicht darum, Technik zu vergleichen, sondern Bedienung: Die User-Experience. Und da hat meiner Meinung nach Jobs recht (und ist ohnehin der Beste). Intimität hat überhaupt nichts mit kleinerer Größe zu tun, keine Ahnung, wie du darauf kommst, sondern damit, wie direkt man mit etwas verbunden ist. Es ist im Prinzip das, was die Papier-Nostalgiker immer mit Haptik umschreiben: Etwas in der Hand haben, es berühren, schafft eine andere Verbindung als etwas nur zu sehen. Und: Ich gebe zu, ich habe schonmal ein Notebook mit aufs Klo genommen, aber selbst bei mir war das eine absolute Ausnahme. Dass es geht ist kein Argument. Ob man es tatsächlich macht schon viel eher. Das ist doch der Erfolg von Apple: Natürlich geht auf PCs all das auch und meist sogar noch mehr. Aber bei Apple funktioniert es auf eine einfache, elegante und sehr schnell sehr natürliche Art.
    Ob das dem Paid-Content hilft wage ich nicht zu beurteilen, vor allem, weil die Verkaufszahlen wohl zunächst vor allem für deutsche Medien noch keine gigantischen „Auflagen“ zulassen werden. Aber ich habe auf der Keynote genug gesehen um zu glauben, dass sich die Art, wie wir Computer benutzen um Medien zu konsumieren ändern wird. Hin zu einer einfacheren, eleganteren und – so weit man das bei einem elektronischen Gerät überhaupt sagen kann – natürlicheren Art.

  16. @mikis Da hast Du mich wohl falsch verstanden. Mir geht es in erster Linie um Benutzerfreundlichkeit. Die tollste Technik nutzt nichts, wenn sie für den Benutzer zu kompliziert ist. Aber das möchte ich schon selbst prüfen, schon allein weil ich beim Benutzen jeder Art von Technik meine ganz spezielle Trotteligkeit kultiviere.
    Intimität ist für mich, wenn ich das Gefühl habe, mit dem, was ich tue, allein zu sein. Dann kann ich mich auch darauf einlassen, Gedanken entwickeln und so weiter. Das hängt nicht nur vom Gerät ab, sondern von der Umgebung. In der S-Bahn oder in der Warteschlange unterbrechen Störenfriede dauernd diese Intimität. Ein iPhone habe ich bei günstiger Gelegenheit höchstwahrscheinlich schneller aus der Tasche raus als ein iPad einfach wegen der Abmessungen. D.h. ich kann die Gelegenheit für Intimität schneller nutzen. (Am schnellsten fährt sich allerdings ein Buch mit Lesezeichen hoch oder „Der Spiegel“, aber mit deren Hilfe kann ich nicht kommunizieren.) Beim Lesen toleriere ich es ungern, wenn mir die Leute über die Schulter schauen, aber noch eher als beim Kommunizieren. Ich mag es auch nicht, wenn sich eine(r) neben mich pflanzt und am Handy lauthals die neuesten Beziehungsprobleme durchgeht. Das ist aufdringlich. Sollen sie doch SMSen oder Emailen, aber je größer der Bildschirm ist, desto eher kann oder muss ich auch das sehen. Ein bisschen angeben muss man mit so einem Teil ja auch. Wahrscheinlich bin ich altmodisch.
    Ach ja, Deine Bob-Marley-Antwort auf Wilko0070 stammt im Original, etwas stubenreiner und länger wohl von Abraham Lincoln.

  17. Tablets werden „das nächste ganz große Ding“ nach PC und Internet – und das iPad wird ihnen den Weg bereiten. Warum, habe ich hier ausgeführt: http://recipient.posterous.com/das-ipad-mehr-als-ein-gadget

    Die dahinter stehende Idee werden viele, deren Blick sich jetzt noch auf technische Aspekte beschränkt, aber vermutlich erst verstehen, wenn sie es dann in Aktion sehen.

    In spätestens fünf Jahren haben wir alle so ein Ding, davon bin ich fest überzeugt.

  18. Was die FAZ in Sachen iPad abzieht, ist bizarr. Schirrmacher, ihr Chefhysteriker, versucht Apple nun zum Anti-Webkommunisten-Internet-Erlöser umzudeuten.
    Das ortsungebundene (meinetwegen auch örtchenungebundene) Lesen, Hören und Schauen mit ausreichend großem Display und leichter Bedienbarkeit ist wohl der entscheidende Vorteil, es ist aber nicht so, dass das unerkannt geblieben wäre.
    http://carta.info/19668/2010-das-jahr-der-medienrevolution/
    Intim werden möchte ich mit dem iPad aber nicht unbedingt.

  19. Ha! Ich freue mich über die überragend unzweideutigen Auslegungen von Intimität an dieser Stelle. Muss man ja mal sagen dürfen. Aber nur, damit es auch gesagt ist: Bücher sind noch intimer. Zum Glück.
    Und der Carta-Text gilt nicht. Der ist ja von lange vor der Keynote! An den kann ich mich kaum noch erinnern.

  20. recipient hat recht, in ein paar Jahren hat jeder so ein Ding.
    Ich bin kein fanboy, aber Apple hat mit dem i-phone das Handy revolutioniert, und wird es mit dem i-pad wieder schaffen. Und das Stichwort ist wiederum Bedienbarkeit und Praktikabilität.
    Ich kann mir gut vorstellen, mit dem i-pad auf dem Pott zu sitzen, um zu lesen. Mit dem Laptop geht das auch, aber das würde kein normaler Mensch machen. Eine Platform, mit der man Medien wiedergeben kann, in einem vernünftigen Format, welche auch funktioniert, wird die Zukunft ausmachen. Dem Herrn Schirrmacher ist damit natürlich nicht geholfen, da ich einen Internetzugang haben werde und mir dann mit dem i-pad auf dem Klo die kostenfreien Google(oder andere)-News reinziehe, woran der Schirrmacher keinen Cent verdient. Und an den raubkopierten Filmen und der Mucke auf dem Pad verdient auch keiner was dran. Außer Steve Jobs ! Und das find ich okay !

  21. Habe die letzten längeren Kommentare nicht mehr verfolgt, könnte also sein, dass ich etwas wiederhole.

    Was macht das iPad denn nun so „intim“? Die Tatsache, dass ich es wie eine Zeitung in der Bahn benutzen kann? Ging mit einem Laptop doch auch, oder?

  22. @Jan: Das ging theoretisch, es hat aber niemand tatsächlich gemacht. Steve Jobs meint in seiner Keynote offenbar vor allem, die Intimität kommt daher, dass man den Bildschirm berührt: „The internet in your hands“. Ich habe das Gerät natürlich noch nicht in der Hand gehabt, bin mir aber sicher, dass er recht hat. Für mich noch entscheidender als die Nähe zum Bildschirm und der Haptik ist allerdings, dass Tablets das Internet in Situationen bringen, in denen wir bisher eher Zeitungen und Zeitschriften gelesen haben. Denn ich sehe keine Menschen mit einem Laptop in der U-Bahn. Und Smartphones sind für entspanntes Lesen für viele Menschen zu klein.

  23. @mikis (Nr.12, und ein bissel OT)
    Danke, das mit der Werbung, so albern es klingt, ist ein guter Tipp. Hab ich noch nie so gesehen. Ich werde mal selektiv den Werbeblocker ausschalten und gucken, ob ich damit klarkomme oder ob es mich zu aggressiv macht. Für hier habeich jedenfalls zwei Päckchen Energiesparlampen für meinen Laden bestellt 😉 – sind fein. Und danke für den Blick auf mein Blog, das grade erst laufenlernt…

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