Was Journalisten denken, wenn Sie „Sparpaket“ hören

Wir erleben am so genannten Sparpaket gerade ein Paradebeispiel dafür, wie sehr unser Denken von Metaphern und Verständnisrahmen bestimmt wird – und wie wenig von rationalen Gedanken. Und natürlich, wie diese Tatsache benutzt wird, um Politik durchzusetzen.

Das Wort „Sparen“ setzt bei uns eine Kette von Assoziationen in Gang, die seit der kleinsten Kindheit verankert sind. Sparen ist nötig, wenn man etwas möchte, es wird belohnt und ist oft unumgänglich. Vor allem aber ist Sparen immer verbunden mit einem persönlichen Budget: Familien sparen für den Sommerurlaub, einen neuen Fernseher oder, per Bausparvertrag, auf ein Haus. Und wenn eine Familie – gerade eine gern genutzte und kaum hinterfragte Phrase – „über ihre Verhältnisse gelebt hat“, dann muss sie sparen, um das Konto wieder auszugleichen. Das entspricht in den Augen vieler Kommentatoren der heutigen Haushaltssituation der Republik. Zumindest wird es so dargestellt. Und, wegen der tief verankerten Sparmetapher in unserem Unterbewusstsein, quasi instinktiv verstanden.

Das Problem dabei ist, dass der öffentliche Haushalt mit dem privaten Haushalt einer Familie oder eines Unternehmens sehr wenig gemein hat. Wenn wir privat Geld ausgeben, dann ist es für uns weg. Wenn wir als Allgemeinheit aus unserem Staatshaushalt Geld verteilen, dann ist es in einer anderen Tasche, kann aber trotzdem auf vielen Ebenen unserem gemeinsamen Wohlstand dienen. Um nur eine der häufigsten metaphorischen Phrasen zu erwähnen: Es wird gerne angeführt, die Schulden, die wir heute machen, lasteten auf kommenden Generationen. Das ist natürlich überhaupt kein Automatismus, vor allem nicht in einem Land mit einer Sparquote wie der deutschen. Würden die Deutschen, die heute in der Lage sind, Geld zu sparen, dieses Geld über Bundeswertpapiere dem Staat zur Verfügung stellen, dann bekämen sie oder ihre Kinder es im Gegenteil mit Zinsen zurück, während heute davon wichtige Investitionen in die Zukunft getätigt werden könnten. In jedem Fall wird jemand an den Schulden verdienen, warum also nicht wir? Abgesehen davon, dass der Staat sein Geld ja nicht einfach ausgibt, sondern investiert: In Infrastruktur, Bildung oder zumindest – im Falle der Transferleistungen – in die Binnennachfrage.

Sparen ist also nicht gleich Sparen, aber die politische Auseinandersetzung wird sehr bewusst über diese Verständnisrahmen geführt – was man schon daran sieht, dass dieses so genannte Sparpaket mit faktischem Sparen, dem Zurücklegen von Geld für schlechtere Zeiten oder große Anschaffungen, überhaupt nichts zu tun hat.

Die Metapher vom Sparen hat einen erwünschten Nebeneffekt. Wenn man den Staat unterbewusst als privaten Haushalt versteht, der weniger Geld ausgeben muss, weil er eben nicht mehr hat, der findet den Staat in einer Situation, in der er „schmerzhafte Einschnitte“ machen muss, wie eine Familie, die ihre jährliche Spende an eine wohltätige Organisation einschränken muss, weil sie das Geld dafür eben einfach nicht hat. So scheint es plötzlich unumgänglich, arbeitslosen, alleinerziehenden Müttern von Säuglingen auch noch die 300 Euro Kindergeld zu streichen, die ihnen nach ordnungspolitischen Gesichtspunkten ja nicht mehr zustehen, seitdem Frau von der Leyen aus dem Erziehungsgeld das Elterngeld und damit einen Lohnersatz gemacht hat. Analog zur Verantwotung einer Familie für ihre privaten Finanzen wird die Verantwortung des Staates (also von uns allen) für seine Finanzen über das gestellt, was eigentlich die Kernaufgabe des Staates ist: Seinen Bürgern die Möglichkeit zu bieten, in Freiheit zu prosperieren, und sie vor den Folgen der großen Lebensrisiken zu schützen.

Das große Problem ist, dass die große Erzählung vom Sparpaket schon nicht mehr diskutiert werden kann, wenn man die Begrifflichkeit und damit die Metapher akzeptiert hat. Innerhalb des Verständnisrahmens Sparpaket sind nur noch Details zu kritisieren, nicht mehr die grundsätzliche Entscheidung darüber, was wir von und mit unserem Staat gestalten wollen. Es fehlen die Worte dafür.

Natürlich ist dieses Sparpaket nicht „gerecht“, und ich kann nicht eine Sekunde lang glauben, dass irgendjemand, der das behauptet, es wirklich denkt. Was für ein unfassbares Arschloch müsste das sein. Wenn wir es analog zu dem Beispiel von der Familie betrachten, die überlegt, welche wohltätige Spende sie in diesem Jahr einspart, dann müsste man sagen, natürlich wäre es zum Beispiel berechtigt, wenn sie weiter für die Minenopfer überweist aber nicht mehr für die missbrauchten Kinder. Aber erstens ist das zwar berechtigt, aber weit von jeder Definition von „gerecht“, und zweitens befinden wir uns schon wieder in einer falschen Metapher: Empfänger von Transferleistungen in Deutschland erhalten keine Spenden, sie bekommen das, was ihnen zusteht, was uns allen in ihrer Situation zustände.

Ihnen das wegzunehmen, weil wir eine Euro- oder was auch immer Krise haben, für die die Bürger Deutschlands am wenigsten können, ist nicht nur ungerecht. Es widerspricht dem Versprechen von dem, was dieses Land ist. Es verleugnet das, was wir von unserem Staat wollen.

Und da ist sie plötzlich, die große Metapher, die niemand zu benutzen wagt gegen das jämmerliche Sparen und Stutzen, gegen die Interessenpolitik der Lobbys. Die Metapher ist Deutschland. Wir alle. Es geht nicht um einzelne Familien, die sich gegen diesen Staat behaupten, sondern darum, dass wir alle gemeinsam mit der Gegenwart umgehen müssen, und das braucht die Bereitschaft von allen. Aber dann ist es nicht einmal mehr eine echte Herausforderung.

Nur so, als Beispiel: Ein Paket von gut 80 Milliarden über drei Jahre bei einer Bevölkerung von gut 80 Millionen benötigt rund 1000 Euro von jedem, also 333 Euro pro Jahr. Das bedeutet, eine Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und in Zukunft die 300 Euro Elterngeld nicht mehr erhält, gibt während eines Jahres für sich und ihr Kind fast doppelt so viel, wie sie innerhalb von drei Jahren müsste – und finanziert damit einen unangetasteten Millionär und sein Kind mit.

Und das kriegen wir nicht anders geregelt? Das ist das, von dem uns Medien erzählen wollen, es wäre gerecht und alternativlos? Das ist Deutschland?

Mein Deutschland ist das nicht. Da bin ich Patriot.

75 Antworten auf „Was Journalisten denken, wenn Sie „Sparpaket“ hören“

  1. @Matthias: leider auch nur ganz kurz und vom Handy: das Erziehungsgeld war eine Leistung pro Kind. Das elterngeld ist eingeführt worden mit der stossrichtung, mehr Akademikerinnen zum Kinderkriegen zu kriegen. Das bedeutet: Kinder sind unterschiedlich viel wert, weil Kinder von Akademikerinnen eher selbst höhere Abschlüsse erreichen und wirtschaftlich produktiver sind. Statt also die skandalöse Undurchlässigkeit des Bildungssystem anzugehen, hat die Regierung sie auf kosten der daran unschuldigen Kinder zementiert. Das ist ungerecht und kurzsichtig.

  2. @ Muriel: Worauf ich hinauswollte, ist eine Unterscheidung zwischen Demagogie („Volksverdummung“, wie Du es nanntest) und Polemik. Man darf – muß sogar manchmal, je nach Textform – Argumente überspitzt formulieren, und muß nicht für jeden Begriff Fußnoten oder Beispiele Anbringen, wenn jeder ganz genau weiß, was gemeint ist. Begriffsklärungen können auch wichtig sein, aber nicht jeder ist immer dazu verpflichtet, sie durchzuführen. Die Effektivität einer Begrifflichkeit beruht auf dem Wiedererkennungswert, dem Assoziationspotenzial.

    „Vorgeschoben“ – enrschuldige, Muriel, wenn Dir das Wort zu hart scheint, ich kann Dir freilich nicht in die Seele schauen – meinte ich deshalb, weil Deine Stilkritik den Unterschied kaschiert, daß Mikis „den“ Neoliberalismus schlicht doof findest, Du nicht unbedingt. Sollte ich da etwas mißverstanden haben? Es erinnert mich an Buchrezensionen, in denen Büchern mit „anstößigem“ Inhalt attestiert wird, sie seien „schlecht geschrieben“.

    Ein Blog spricht nicht mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit; aber auch im Print darf ein Autor m. E. eine scharfe, polemische Meinung vorbringen. In einem zivilisierten Diskurs sollte sich (idealerweise) eine allzu große Dummheit selbst entlarven. Aber eine Abneigung gegen Polemik finde ich Problematisch; ich weiß nicht ob das ein in Deutschland gesamtkulturelles Phänomen ist. Man hält sich Hofnarren wie Biller, Broder usw., aber bitteschön nur im Feuilleton, während die Leitartikel-Streitkultur vollends verschnarcht ist.

    Entschuldigt, liebe Leser und Mitdiskutanten, daß meine Stildebatte dem Stand der Diskussion etwas hinterherhinkt. Es ist hier vielleicht nicht der Platz für Grundsatzdiskussionen, es fing ja nur mit einem „A.“ an…

  3. @Matthias
    War zwar eigentlich nicht das Thema, aber um mich mal einzuordnen: Ich bin für die Streichung aller Subventionen [Sozialleistungen gehören NICHT dazu]. Ich bin auch gegen die Bankenrettung oder Opel-Rettung oder Holzmann-Rettung [die ja gezeigt hat, was am Markt passiert].

    Wer meint, wir bräuchten mehr Kinder auf der Welt – auch ein Konzept, das ich stark anzweifle -, der muss jedes Kind fördern, nicht nur die adligen, sei es auch nur Geldadel. Er darf auch nicht die Eltern fördern, sondern wirklich die Kinder. Das zieht allerdings einen ganzen Rattenschwanz von Entscheidungen nach sich, die Konservative gar nicht mitgehen können und unsere Pseudo-Liberalen von der F.D.P. als ’sozialistisch‘ diffamieren werden.

    Wir diskutieren immer noch nach den Regeln der Kassenwarte eines sozialdarwinistischen Ellenbogenwirtschaftssystems – damit meine ich nicht den Kapitalismus, sondern das, was im letzten Vierteljahrhundert auf Basis von keinen Daten daraus gemacht wurde – statt einmal darüber nachzudenken, was denn eigentlich Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft bedeuten. Was sind die Aufgaben der Gemeinschaft und warum, was geben wir aus guten Gründen an die staatliche Verwaltung, was sollten wir besser in unseren eigenen vier Wänden behalten?

    Statt einer solchen, notwendigen Diskussion glauben wir die lächerlich falsche Metapher der ’schwäbischen Hausfrau‘. Nein, so funktioniert weder Volkswirtschaft noch die besondere Form betriebswirtschaftlichen Arbeitens der staatlichen Verwaltung. Aber selbst gut gebildete Menschen lassen sich von diesem Quatsch einlullen.

    PS: Wenn eine Regierung keine Schulden mehr machen darf, woher kommt dann eigentlich das Geld für Straßenbau, Pensionen, innere Sicherheit, Militär etc.? Und in was legen die Bürger ihr Geld sicher an, bestimmt nicht mehr in Bundesschatzbriefen oder Kommunalobligationen?

  4. @Alfalfa: Ha, meine Güte, wenn du es für akzeptable Polemik hältst, Dinge zu behaupten, die schlicht unwahr sind, und wenn du kein Problem darin erkennst, dass Mikis die BILD-Zeitung menschenverachtend nennt, weil sie den Begriff „lachhaft“ benutzt, aber selbst Leute, die nicht seiner Meinung sind, unfassbare Arschlöcher nennt, dann muss dir meine Kritik wohl in der Tat vorgeschoben erscheinen.
    So viel aber doch noch: Natürlich bin ich auch inhaltlich mit manchem nicht einverstanden, was Mikis geschrieben hat. Ich finde es aber trotzdem gut und wichtig, dass er es schreibt, weil ich ihn für klug und eloquent halte und gerne seine Meinung lese. Wenn er aber zu solchen Mitteln greift – ob bewusst oder versehentlich – , dann trägt er damit zu einer Diskussionskultur bei, in der man nicht zu informieren und zu überzeugen versucht, sondern zu verzerren und zu überreden. Volksverdummung mag ich als Begriff auch nicht, obwohl er etwas ganz anderes bedeutet als die Demagogie, die du da bei mir herausgelesen hast. Deswegen präzisiere ich noch mal: Einige von Mikis‘ Argumenten im Beitrag und der folgenden Diskussion sind aus meiner Sicht unsachlich, irreführend und schlicht unwahr, und wer so argumentiert, der erhellt nicht, der verblendet, und schadet damit am Ende seinem eigenen Anliegen und auch der gesamten Debatte.

  5. @muriel: wir müssen uns da wohl drauf einigen, dass wir uns uneinig sind, weil ich nach wie vor finde: bei den ärmsten der armen am stärksten zu sparen ist ungerecht. Kritik daran als lachhaft abzutun zeugt von Menschenverachtung. Und ich kann nicht anders, für mich ist es so: wenn das keine Arschlöcher sind, wer denn dann? Aber das ist sicher kein guter Ton.

    Für mich wichtig wäre aber vor allem: welche argumente meinst du mit schlicht unwahr?

  6. @Muriel

    Es ist doch eine Frage der Meinung, die vertreten wird. Nicht jede ist gleichwertig, wenn A einen menschenverachtende Meinung vertritt, dann muss B dies schreiben können.

    Drastisches Beispiel [und nein, ich setze hier niemanden mit den Nazis gleich]: Der Stürmer nennt Menschen ‚lachhaft‘, die der Ansicht sind, Juden seien Menschen wie jeder andere auch. Dazu kommentiert Karl-Maria Johannisen, beim Stürmer schreiben ‚unfassbare Arschlöcher‘.

    Ich glaube ernstlich nicht, dass du Johannisen jetzt vorwerfen möchtest, er stelle sich auf die gleiche Stufe wie der Stürmer, ja, er würde einen ungeheure Wortwahl benutzen, nur um eine andere Meinung zu diskreditieren.

  7. @Mikis: Mindestens die Thesen, Gier käme im Tierreich nicht vor und wäre beim Menschen ausschließlich angezogen, bezeichne ich als schlicht unwahr, und deine private Definition von Gier rettet sie in meinen Augen auch nicht. Darüber hinaus tun sie in meinen Augen auch nichts zur Sache.
    @Dierk: Mikis hat aber eben in diesem Punkt nicht die Position der Zeitung kritisiert, sondernden Umgang mit Gegenargumenten. Außerdem schlage ich vor, dass du mal dein eigenes Beispiel heranziehst, um die Angemessenheit des Begriffs „menschenverachtend“ in diesem Zusammenhang zu überprüfen.
    Und zu guter Letzt: Gerade wer sich mit unfassbaren Arschlöchern auseinandersetzt, sollte m.E. auf faire Argumentation achten, damit der Unterschied erkennbar bleibt.

  8. @Dierk
    Dass sich selbst „gut gebildete Menschen“ von „diesem Quatsch einlullen“ lassen, könnte man als Hinweis dafür werten, dass
    1. unter Bildung in diesem Land weniger Denken als Formen verstanden wird (was wiederum die Forderung nach mehr Bildungsförderung in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt), und
    2. die von dir beschriebene „notwendige Diskussion“ vielleicht notwendig, mitnichten aber zielführend sein dürfte. Denn an deren Ende würde mit Sicherheit etwas stehen, was du (und ich und wahrscheinlich viele hier) nicht gutheißen könnten.

    Nun weiß ich selbst nicht genau, was zu tun bleibt. Wahrscheinlich aber nicht viel mehr, als all die Sinns und Henkels und Westerwelles Arschlöcher zu nennen (auf dass dem eigenen gemarterten Geist ein wenig Genugtuung widerfährt).

  9. @Muriel
    Es fällt langsam schwer …

    Du setzt Behauptungen auf, verkleidest Meinung als Fakten und lehnst anderer Argumente einfach nur ab, weil sie nicht in dein Weltbild passen. Auf der Grundlage ist ein Gedankenaustausch sehr schwierig. Ich habe bsplw. mindestens einmal ausgeführt, welchen Aspekt am Sparpaket ich weshalb für menschenverachtend halte [und damit, auch das wurde von mir explizit erwähnt, diejenigen, die das Wünschen und verteidigen]. Ob der Inhalt einer Behauptung wahr oder unwahr ist, lässt sich überprüfen, da reicht es nicht aus zu ‚behaupten‘; Argumente, nebenbei bemerkt, können über diese Kategorie gar nicht erfasst werden.

    Den Quark mit der Zielverschiebung bzgl. der Position der BLÖD und was genau da jetzt als ‚menschenverachtend‘ bezeichnet wurde, hättest du dir sparen können. Zum einen ging es da nicht über irgendeine Meta-Metaebene, sondern um die dahinter stehende Attitüde, zum anderen habe ich nie davon gesprochen, ob die Ursprungsthese oder der Umgang mit den Kritikern der Ursprungsthese auch in strengen Worten gerügt werden dürfen.

    Aber nett vom Thema abgelenkt, das muss ich neidlos anerkennen …

  10. @Dierk: Nur, falls es dir wirklich nicht aufgefallen sein sollte:
    Ich habe kein Wort darüber verloren, ob das Sparpaket gut oder schlecht ist. Ich habe zu dieser Frage keine Meinung, weil ich das Sparpaket nicht gut genug kenne.
    Ich vermute, dass du deswegen auch den Gedankenaustausch mit mir so schwierig findest. Du redest nämlich einfach über etwas anderes als ich. Du kannst mir noch so oft erklären, was dich an dem Paket stört, Mikis‘ Argumentation wird dadurch nicht sauberer. Ich habe oben mehrfach aufgezählt, was konkret mich stört.
    Beispiel Überprüfbarkeit von Behauptungen: Was Gier bedeutet, kann jeder ganz leicht in einem beliebigen Wörterbuch nachschlagen. Und wenn man diese Bedeutung zugrundegelegt, erkennt man auch schnell, dass Gier sehr wohl im Tierreich vorkommt. Solltest du das widerlegen können, bin ich gerne bereit, um Entschuldigung zu bitten. Gleiches gilt sinngemäß natürlich auch für alle anderen meiner Kritikpunkte.
    Und du darfst mir auch gerne erklären, wo ich Meinungen als Fakten verkleidet und all die anderen Gemeinheiten begangen habe, wenn du magst.

  11. Ob der Begriff ‚Gier‘ richtig oder falsch definiert wurde und ob er auf das Tierreich anwendbar ist oder nicht, ist doch – glaube ich – nur von sekundärem Interesse. (Wobei mich schon interessierte, welche Definition du, Muriel, anwendest, wo es doch – ich habe extra nachgeschaut: maßloses, unmäßiges Verlangen, bedeutet. Zugegeben: unstillbar ist nun kein Synonym für maßlos, aber soooo weit weg ist es nun auch wieder nicht.)

    Wichtiger erscheint mir die Frage, ob dieses Sparpaket alternativlos ist. Und das ist es nicht. Von der Neustrukturierung der Mehrwertsteuer, über den Abbau von Subventionen (Steinkohle, Pendlerpauschale), bis zur „Reichensteuer“, alles das wurde konsequent igonoriert.
    Dieses Sparpaket auch noch gerecht zu nennen, ist ein schönes Beispiel für einen Eupehmismus, hinter dem sich blanker Zynismus verbirgt (und eben, so könnte man argumentieren: Menschenverachtung).

  12. Bei aller Liebe, Muriel (und das ist ernstgemeint: Trotz eher unterschiedlicher Meinungen lese ich Dein Blog regelmäßig und gerne, weil eben auch …moment.. zitat… „klug und eloquent“):
    So sehr ich die Kritik an Formulierungen verstehe, und an vielleicht zu flach formulierten Argumenten in der anschließenden Diskussion, und so sehr sie Mikis vielleicht auch hilft, seine Eloquenz noch zu schärfen, aber irgendwann fängt es dann schon an, von Wichtigerem abzulenken, finde ich, nämlich von der Diskussion über die Frage, ob wir das Sparpaket gerecht, alternativlos, inakzeptabel, angemessen oder wieauchimmer finden oder eben nicht, und wie es der staunenden Öffentlichkeit kommuniziert wird.
    Dazu würden jedenfalls mich, die ich inhaltlich mit Mikis konform gehe, mehr Argumente und Meinungen aus allen Richtungen, also zB auch Deine, interessieren.

  13. @WallaceRope: Für mich ist Gier ein sehr starkes, von mir aus auch unmäßiges Verlangen. Mich stört auch nicht Mikis‘ Wortwahl in seiner Definition. Mich stört, dass er diese Definition anscheinend nur gewählt hat, um eine ansonsten unhaltbare These halten zu können, nämlich, dass es Gier im Tierreich nicht gibt. Dass das von sekundärem Interesse ist, sehe ich auch so. Ich habe davon auch nicht angefangen.
    @WallaceRope und Madove: Auch ich finde, dass die Diskussion über Sinn und Unsinn des Sparpakets eine sehr wichtige ist, und genau deshalb habe ich Mikis auch dafür kritisiert, dass er sie meines Erachtens auf irreführende und unsachliche Weise betreibt. Und weil mich auch Argumente und Meinungen aus allen Richtungen interessieren, habe ich immer wieder nachgefragt, auch weil aus meiner Sicht immer wieder völlig unbefriedigende Antworten kamen.
    Es geht mir hier nicht um spitzfindige Kritik an Formulierungen oder Herumkritteln an unpassender Wortwahl. Ich habe Mikis‘ Argumente nicht verstanden. Und auf Nachfrage hat er sie aus meiner Sicht nicht erläutert, sondern nur noch mehr Sand gestreut. Aber ihr habt ja Recht, wir drehen uns damit im Kreis. Ich denke, ich habe jetzt alles, was ich zu sagen hatte, mehrfach gesagt, und lasse es dabei vorerst bewenden.
    Vielleicht schreibe ich ja bei mir zu Hause noch einen ausführlicheren Beitrag dazu, mal sehen…

  14. Und schon wieder ein ausgezeichneter Text. Hier werde ich noch Stammleser.

    Beim Überfliegen der Kommentare ist mein Troll-O-Meter beträchtlich ausgeschlagen. Ist da was dran oder handelt es sich um eine Fehlfunktion?

  15. @Muriel: Das geht jetzt aber in die Unsinns-Richtung. Aber noch ein Versuch, ich bin wieder zuhause und habe mehr Zeit. Also: Gier gibt es in der (wilden) Tierwelt nirgendwo als Charaktereigenschaft, egal in welcher Definition, es gibt gieriges Verhalten in Momenten, zeitlich begrenzt – eben stillbar. Ich glaube keine Sekunde, dass du das nicht absichtlich einfach nicht verstehen willst, aber natürlich geht es mir um Gier als Eigenschaft, nicht als momentanen Zustand, also um ständig wiederkehrendes, maßloses Verlangen. Wie viel genauer kann ich es sagen? Unstillbares Verlangen? Eben. Hat kein Tier, zumindest nicht nachgewiesen. Am nächsten käme dem höchstens der Fortpflanzungstrieb, der kann maßlos sein, aber er ist eben nicht wirklich egoistisch, was ja nach der Definition auch zur Gier gehört. Wenn wir schon unsere Köpfe nicht zum Verstehen benutzen sondern nur noch in Wörterbüchern nachschlagen wollen.

  16. @mikis: Vielleicht einigen wir uns so:
    1. Der Punkt mit der Gier spielt für die Frage nach Sinn oder Unsinn des Sparpakets keine Rolle. Insofern war es vielleicht falsch von mir, darauf so herumzureiten.
    2. Falls dir das die Mühe wert ist, würde ich mich aus privater Neugier sehr freuen, wenn du mir (vielleicht per Mail) den angekündigten Beleg über deine Behauptung schicken würdest, so etwas gäbe es ausschließlich beim Menschen aufgrund der Erziehung. Mir kommt die These sehr, sehr kontraintuitiv vor, aber ich lasse mich natürlich belehren, wenn Verhaltensforscher das festgestellt haben.

  17. Dass Sparen volkswirtschaftlich etwas anderes ist als betriebswirtschaftlich, das ist doch spätestens seit Keynes ein alter Hut.

    In Wirklichkeit führt der Begriff „Sparpaket“ aus einem ganz anderen Grund in die Irre, nämlich deshalb, weil es gar nicht ums Sparen geht. Es geht nur darum, dass der Staat die Neuschulden reduzieren will. Im Sinne einer wirklich antizyklischen Keynesschen Politik müsste er jedoch im Aufschwung nicht die Neuverschuldung zurückführen, sondern die Verschuldung selbst.

    Davon kann keine Rede sein. Vielmehr steht zu befürchten, dass die Staaten sich demnächst über kräftige Inflation entschulden. Das trifft dann zum einen die Sparer und zum anderen alle kleinen Leute, deren Einkommen nominal fixiert ist, z.B. die Rentner.

  18. Ob es „Gier“ nun im Tierreich gibt oder nicht, scheint mir von begrenzten Aufschlußwert zu sein, wenn man in Betracht zieht, daß die Bedürfnisse des Menschen nicht nur komplexer sind als die der (anderen) Tiere – auch wenn man sie auf einige Grundkonstanten (Anerkennung, Sicherheit usw.) reduzieren kann – sondern potentiell unendlich. Ob das nun daran liegt, daß der Kapitalismus stets neue Bedürfnisse produziert oder ob umgekehrt der Kapitalismus das System ist, daß wir uns zur Befriedigung unserer anthropologisch bedingt unendlichen Bedürfnisse gegeben haben, will ich hier nicht entscheiden. Aber da der Mensch nun einmal keinen festen Platz im Ökosystem hat und sich diesen Platz stets selbst suchen, erschaffen, muß, sind auch seine Bedürfnisse nicht festlegbar. Das ändert auch den Bezugsrahmen der Gier. Aus diesem anthropologischen Unfestgelegtsein entsteht aber auch eine Kultur, eine Zivilisation oder schlicht ein System von Wertsetzungen, die akzeptable und tragbare Formen und Ausmaße der Gier und anderer Triebe festlegen. Selbst wenn die Gier also ein natürlicher Trieb wäre, dann wäre sie doch wieder relativiert und eingehegt – und das ist eben ein zentraler Bestandteil dessen, was das Menschsein ausmacht.

  19. @Muriel:
    Danke für das sachliche und ausdauernde Kommentieren. Denn auch ich finde die Beiträge von Mikis in der Regel sehr lesenswert, setze mich gerne damit auseinander und war daher in diesem Fall enttäuscht von der Argumentationsweise.

  20. Vielleicht ein bisschen spät, aber ich habe erst vor kurzem diesen äußerst guten und lesenswerten Blog entdeckt und muss hier noch ein wenig Senf verstreichen.

    Zu dem Begriff der Gier:
    Ich denke hier muss man unterscheiden zwischen Profitstreben und Gier, Profitstreben ist Teil des Kapitalismus und ein wichtiger Teil, weil die These, dass dieses Streben aller nach ihrem eigenen Vorteil der Allgemeinheit dient, stimmt.
    Gier ist die Perversion, die Übertreibung von Profitstreben. Ich würde Gier aber auch in der psychologischen Struktur des Menschen verankert sehen, und zwar in der Bedürfnispyramide von Maslow. Ich habe das angesprochene Buch nicht gelesen, aber die Tatsache, dass die oberste Stufe dieser Pyramide (Selbstverwirklichung) bspw. durch Erfolg erreicht werden kann, aber dieses Bedürfnis nie gestillt wird, entspricht in meinen Augen ziemlich der Definition von Gier. Es kommt aber darauf an, wie eine Gesellschaft Erfolg und Selbstverwirklichung definiert.

    Empathie ist angeboren, keine Frage, aber sie ist, zumindest in ihrem angeborenen Status, auf die nächste Familie, den Clan eingeschränkt.

    Um auf das Sparpaket zu kommen:
    Es ist ungerecht.
    Auf der anderen Seite finde ich aber die Diskussion darüber, dass man selbst durch Staatsanleihen Teilhaber des Staates wird und dadurch ja eigentlich alles in Butter ist, auch nicht so wasserfest.
    Denn in diesem Rahmen ist es doch denkbar, dass man in Zukunft aus der Rendite der Staatsanleihen die Privatschule für die Kinder zahlen muss, weil der Staat eine geordnete staatliche Bildung nicht mehr finanzieren kann.

    Im Endeffekt leiden also an einer hohen Staatsverschuldung vor allem die Armen, die eben nicht das Geld haben, um in den Staat anzulegen und im Endeffekt die Folgen eines schwachen Staates ertragen müssen.

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