Die beste Medienkrise aller Zeiten

Geht es nur mir so, oder ist diese Krise nicht nur das Beste, was uns passieren konnte, sondern auch ein ziemlich einfacher Weg hinaus aus all dem, was falsch gelaufen ist in den letzten Jahren (mit meiner tätigen Mithilfe)? Denn erst seitdem die Anzeigen wegbrechen

scheinen die Zeichen der Zeit in vielen Verlagshäusern zumindest dumpf wahrgenommen zu werden, und das kann für uns alle, die wir gerne in diesem Gewerke arbeiten, nur gut sein. Ich glaube fest, dass diese Krise uns hilft, die letzte Chance wahrzunehmen, die wir noch haben, bevor wir uns selbst abschaffen.

Es geht dem Zeitschriftengewerbe nicht gut im Moment. Wie gesagt: die Anzeigen brechen weg. Und gleichzeitig sinken die Auflagen, angeblich deshalb, weil so viele Leser ins (angeblich kostenlose) Internet abwandern, in dem die Medienhäuser (wiederum angeblich) nicht genug Geld verdienen können. Insofern muss man wohl konkretisieren: Dem Gewerbe geht es finanziell schlecht. Und meiner Meinung nach muss man sagen: … jetzt auch finanziell schlecht. Denn super war vorher auch schon fast nichts mehr. Und ich werde hier einmal ausbreiten, was ich glaube, warum das so ist.

Um kurz die Voraussetzungen zu klären: Tatsächlich verlieren Zeitschriften Käufer und damit Umsatz. Und in rauen Mengen verlieren sie Anzeigen und damit noch mehr Umsatz. Deshalb verlieren viele von ihnen die wirtschaftliche Grundlage und werden eingestellt, was mir aus einem einzigen Grund leid tut: Wegen der arbeitslosen Kollegen (und mich hat es ja Anfang letzten Jahres auch erwischt). Genau so geht es mir mit den Mitarbeitern von Opel, Karstadt und all den anderen, die ihre Jobs verlieren. Ob der Karstadt schließt und es keinen Opel Corsa mehr gibt ist mir genau so egal wie die Tatsache, dass ich nun keine Maxim, keine Amica und keine Tomorrow mehr kaufen kann. Ich liebe Zeitschriften (und Autos), aber wir müssen doch ehrlicherweise sagen: Diese Titel sind eingegangen, weil sie niemand kaufen wollte. Das ist nichts Schlimmes. Es ist sogar gesund. Wenn ich eine Zeitschrift herausgebe, die niemand kaufen will, dann schließe ich sie und erfinde eine bessere. So ist die Welt, und ich kann nichts dagegen haben. Aber ich habe ein großes Problem damit, wenn man diese Situation auf „die Krise“ schiebt. Ich habe auch ein Problem damit, wenn man das Zeitschriftensterben auf „das Internet“ schiebt. Weil es den Blick auf die Tatsache verstellt, dass sehr viele Zeitschriften in den Regalen unserer Kioske einfach zu schlecht sind, als dass genug Menschen dafür Geld ausgeben wollen oder sollten. Mit anderen Worten: Wir sind abersowasvon selbst schuld. Diese Krise wird uns dabei helfen, das zu ändern. Und dafür liebe ich die Krise ein bisschen.

Denn natürlich ist es auch im Moment möglich, erfolgreich Zeitschriften zu machen. Die offensichtlichsten Beispiele sind Neon und Landlust, die regelmäßig neue Rekorde vermelden. Neon ausgerechnet in einer Zielgruppe, die internetaffiner nicht sein könnte (und von denen jeder User bei jedem Besuch auf neon.de 94 oder so Klicks lässt). Aber noch lieber ist mir das Beispiel BRAVO, weil das die Marke ist, von der jeder noch vor ein paar Jahren gesagt hat, die wird als erste im Internet aufgehen, weil Bravo alle paar Jahre die komplette Leserschaft auswechselt – und 13-Jährige ohne Internet-Zugang gibt es ja nun nicht mehr. Trotzdem verkauft die Bravo jede Woche 470.000 Exemplare (im Monat also 1,8 Mio. für vier mal 1,40 Euro – nimm das, Amica!).  mehr als 491.000 Exemplare (im Monat also fast zwei Millionen. Und wenn man die ganz aktuellen Zahlen dieser Woche nimmt sogar noch einige zehntausend mehr)*. Wer also behauptet, es gäbe eine Krise des Mediums Zeitschrift, der sollte dazu sagen: Und das liegt vor allem daran, dass die Menschen leider nicht mehr bereit sind, jeden Scheiß zu kaufen.

Natürlich ist das eine schlechte Nachricht für jeden, der den Verkauf von Zeitschriften vor allem als Geschäft sieht. Wenn man eine Zeitschrift nur als Anzeigenumfeld versteht, dann hat man tatsächlich eine schwere Zeit. Und die „guten Zeiten“ werden nie wieder kommen. Wer als Leser früher eine Zeitschrift gekauft hat, um Zeit totzuschlagen, und dabei in Kauf genommen hat, dass er für sein Geld nur ein Anzeigenumfeld bekommen hat, der findet heute sehr viel schneller, einfacher und billiger sehr ansehnliche Pornografie im Internet. Das ist wahr. Und diese Tatsache kostet mich persönlich – genauso wie viele Kollegen – einen Haufen netter Honorare, die ich heute nicht mehr bekomme. Aber ich habe ja auch schon in der einen oder anderen Redaktion gearbeitet und werweißwieoft gehört: Über diesen und jenen Anzeigenkunden „müssen wir noch was machen“. Nun, in der Krise, wird der Blick wieder klar und frei auf die einzige Beziehung, die für uns wichtig sein sollte: die zum Leser. Wer einen Haufen glücklicher Leser hat, der wird am Ende auch Anzeigen anziehen. Und wer keinen Haufen glücklicher Leser hat, der hat es nicht verdient, auf dem Markt zu sein. So einfach ist das. Danke, Krise!

Erstaunlicherweise ist der einzige deutsche Großverlag, der immer so gearbeitet hat, der Bauerverlag. Sicher unter den Großen nicht der, den Journalisten am meisten lieben. Ich persönlich finde es auch verstörend, dass dieser Verlag ohne jedes Prestige-Projekt auskommt, ohne jede verlegerische Ambition, die über kaufmännischen Erfolg hinausgeht. Ich würde mir wünschen, die Bauers würden gerade heute versuchen, einen Markt in der oberen Etage aufzumischen. Aber unabhängig vom Niveau der Titel bleibt bei mir das Staunen, wie unfassbar erfolgreich man sein kann, wenn man nur eine einzige Devise hat: Das zu machen, was der Leser will. Nicht nur das, was der Anzeigenkunde will.

Dabei ist uns als unfassbar hippen Journalisten der Anzeigenkunde wahrscheinlich hundertmal näher als der Leser. Aber würden wir uns danach richten müssten wir, wenn wir ehrlich wären, den Job wechseln. Werbung ist eine andere Abteilung. Sie ist weder ehrenrührig noch ein Abstieg. Aber sie ist auf der anderen Seite des Gangs.

Ich glaube also, dass wir über lange Zeit nicht das Beste für unsere Leser gegeben haben, sondern in „Sachzwängen“ zerrieben wurden (ich komme ja aus dem Männer-Lifestyle. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele hundert Seiten voller Kosmetikprodukte für Männer schon irgendwie über meinen Tisch gegangen sind. Aber ich kann genau sagen, wie viele davon irgendeinen Leser interessiert haben: keine einzige).  Diese Krise zeigt uns, dass wir uns auf Anzeigenkunden sowieso nicht verlassen können. Insofern sollten wir wieder anfangen, dass zu tun, was jedes erfolgreiche Internet-Startup tut: Für Masse sorgen, für Kunden, Leser, für Menschen, die unseren Service lieben, unsere Geschichten, unsere Optik, unsere Haltung, unsere Sicht auf die Welt. Die Erlösmodelle werden folgen. Und wenn nicht, dann werfen wir die Idee weg und probieren die nächste. Ich muss selber Kinder ernähren und weiß, dass das alles leichter klingt als es im Tagesgeschäft sein wird, aber ich weiß auch: Ich bin dankbar, dass wir nicht für immer so weiter machen müssen wie es war. Denn wir hätten uns ganz einfach selbst abgeschafft, indem wir irgendwann von Lesern erwartet hätten, für 200 Seiten Papier zu bezahlen, die von vorne bis hinten von Anzeigenkunden bestimmt worden wären. Und kein Mensch hätte den Scheiß gekauft. Zum Glück nicht.

Also, stehen wir auf, putzen uns den Mund ab und machen wir geile Zeitschriften.

PS. Ich liebe Zeitschriften.

*Ich habe in der ersten Version dieses Textes alte Zahlen benutzt. Dabei waren die neuen IVW-Zahlen gerade herausgekommen, und in denen steht die BRAVO noch einmal sehr viel besser da, als ich behauptet hatte. Was bedeutet: meine Recherche war nicht gut. Aber mein Argument umso mehr.


4 Antworten auf „Die beste Medienkrise aller Zeiten“

  1. Du guter grieche, Du.
    sehr recht hast Du. doch Deine „einsicht“ wird vorerst wenig helfen. das problem liegt, meiner bescheidenen ansicht nach, vor allem daran, dass es kaum mehr anstaendige verleger gibt. oben, in den plueschetagen, da sitzen die sesselfurzer, bwl-geschult und krawattiert, denen geht es nicht um inhalte oder gar den leser, sondern bloss um saubere zahlen (danach definiert sich ja meist auch ihr gehalt. und der bonus). so lange die verleger aber nicht bereit sind, auch mal wieder in die qualitaet der zeitungen, zeitschriften (und auch ihrer internet-portale) zu investieren, wird sich gar nix aendern; wenn nur die rendite regiert, wird alles zum a. gehen. da koennen wir journalisten gar nix dagegen, denn wir werden immer weniger, weil margen-optimierte objekte solche kostenverursacher wie uns so sehr brauchen wie ein loch im kopf. das umdenken muss weiter oben stattfinden, die manager muessen lernen, dass nur print-produkte, die auch eine leserschaft haben, existenzberechtigt sind; da darf die brutto-rendite auch mal unter 25% liegen. zumindest in krisen-zeiten ;-).
    ein gruss aus der schweiz, wo wir grad eine unglaublich grobe bereinigung der branche mitmachen. alles schoen auf dem buckel der journalisten; da gibt es verlage, die hauen einen viertel der belegschaft raus, leisten sich aber so nebenbei den neubau der sesselfurzer-liegenschaft im dreistelligen millionen-bereich. nur so kann man ja die potenziellen inserenten beeindrucken.
    p.

  2. Mein Ruch, du sprichst einige wahre Worte gelassen aus. Am Ende ist es wahrscheinlich auch so: Journalismus muss man machen wollen. Und in der Geschichte des Journalismus war der wirtschaftliche Teil eigentlich nur dazu da, den Journalisten die Arbeit zu ermöglichen. Irgendwann hat sich das umgedreht, und Journalisten sollten plötzlich dazu da sein, Geschäft zu ermöglichen. Aber das funktioniert nicht, denn es liefert keine guten Ergebnisse. Wie überall ist es so: Wer für Geld arbeitet statt aus Leidenschaft für seinen Beruf, der tut nur das Nötigste. Die Qualität erodiert, das Produkt wird schlechter. Und das drehen wir jetzt um.

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