Die Rentenlüge, Folge 192

Vorweg: Diesen Blogpost kann man auch hören – dank Bodalgo, dem Online-Marktplatz für Sprecher. Vielen Dank!

[audio:Faule Griechen.mp3]

Und weiter geht es mit dem sonntäglichen Griechen-Bashing bei Spiegel Online, und ich nehme das zum Anlass, einmal ein Missverständnis aus der Welt zu schaffen, das angeführt von der Bild-Zeitung fast alle deutschen Medien ohne Prüfung irgendwelcher Tatsachen übernommen haben. Ich zitiere SpOn:

Bisher können Staatsdiener schon vor Erreichen des 50. Lebensjahres in den Ruhestand gehen.

Das schreiben alle. Und es ist, so wie es da steht, falsch. Deshalb für alle deutschen Journalisten, die zu faul oder zu dämlich sind zu fragen einmal die korrekte Darstellung – falls es nicht ohnehin daran liegt, dass sich manche Kollegen ihre Geschichten nicht durch Recherche versauen wollen.

Tatsache ist: Griechische Beamte haben nach 35 Jahren Dienst einen Anspruch auf eine Pension, die sie vom Erreichen des Rentenalters an (bisher 60, ab jetzt 63*) ausgezahlt bekommen. Es kann also kein griechischer Beamter mit 50 oder noch früher in den Ruhestand gehen. Falls er allerdings mit 14 oder 15 Jahren angefangen hat, zu arbeiten (was es damals tatsächlich nicht so selten gab), dann könnte er mit 50 kündigen, zehn Jahre etwas anderes arbeiten oder von Luft und Liebe leben und dann mit 60 in den Ruhestand gehen.

Das durchschnittliche Rentenalter in Griechenland ist übrigens 61,4 Jahre (Deutschland 61,7), die Lebensarbeitszeit in Griechenland tendenziell aber höher, weil weniger Leute, die heute in Rente gehen, studiert haben. Und, wir ahnen es inzwischen, die gern verbreitete Zahl von angeblich 94,7 Prozent des letzten Nettolohnes, den die Staatsdiener als Rente kriegen, bezieht sich nur auf das Grundgehalt und nicht auf die Zuschläge, die einen großen Teil (in Extremfällen den Großteil) des Gehaltes ausmachen. Die deutschen Rentner wären auf griechische Renten nicht neidisch (sie liegen bei durchschnittlich 630 Euro), deshalb werden die absoluten Zahlen nie irgendwo erwähnt. Das ist selbstverständlich Absicht, und zwar eine böse.

So viel zu dem Vorurteil des faulen Griechen, der mit 50 in Rente geht und dabei reich wird. Es ist ein Mythos, und dass er bis heute verbreitet wird (unter dem SpOn-Artikel stehen als Kürzel übrigens ler/dpa/Reuters) ist mit fahrlässig noch nett umschrieben.

* Den Beschluss aus Brüssel gibt es noch nicht zu lesen. Jetzt höre ich, es könnte auch noch höher sein, aber weniger als die 60 natürlich auf keinen Fall.

49 Antworten auf „Die Rentenlüge, Folge 192“

  1. Was ist denn Deiner Meinung nach der Grund dafür, dass das mit den Renten so falsch dargestellt wird? Gewundert hat mich das schon länger. Auch ohne das Lesen Deines Blogs (da kommt man ja regelmäßig nicht ohne diese Information aus) – allein deshalb, weil es absurd erscheint, dass ausgerechnet die Griechen mehrheitlich so reich sein sollen. Was sagen denn die Offiziellen dazu – z.B. Leute wie Dein Vater – wenn der Fakt mit den Renten so eindeutig ist, sollte man ihn doch öffentlich unterbringen können. Oder?

  2. Die traurige Wahrheit ist die: Von den Großen fragt erst keiner, und wenn doch, dann ist es ihnen zu kompliziert. Ich glaube, am Anfang sollte die Kampagne noch irgendwie witzig sein: Der Focus mit der Fuck-Finger-Venus, der Stern mit dem Offenen Brief in dem stand „Ihr geht nur arbeiten, wenn ihr bestochen werdet“ und die Bild mit ihrem Schmutz. Sie wollten zugunsten der Unterhaltung keine echten Informationen, sondern haben mit ethnischen Klischees gespielt, um ein paar billige Witze zu machen, deshalb haben sie ein paar Zahlen, die man nun mal braucht, so einseitig ausgelegt, wie es geht, und den ältesten Trick angewandt, den es gibt: Sie haben die abwegigsten Ausnahmen gesucht (die findet man immer) und zum Normalfall deklariert. Und dann haben es alle anderen abgeschrieben. Ich fürchte, der Zustand der Presse ist inzwischen wirklich so schlecht. Es gibt nur noch sehr wenig Fachwissen, und Zeit für Recherche oft erst recht nicht. Dass allerdings viele Journalisten, die zum Thema Griechenland geschrieben haben, nicht einmal einen einzigen Anruf gemacht haben, um ihre so genannten Informationen zu verifizieren, bedeutet ein totales Versagen. Dafür Geld von Lesern zu verlangen ist lächerlich – denn ihre Vorurteile hatten viele Leser ja schon vorher, und mehr haben sie von vielen Media-Outlets nicht gekriegt.
    Also, ganz kurz: Die Fakten haben sehr viele meiner Kollegen ganz einfach nicht interessiert. Sie haben lieber das geglaubt, was in der Bild steht. Weil es die heißere Geschichte war.

  3. Danke (ich weiß wirklich nicht viel über Griechenland, ich versuche einfach nur bei der Methodik mitzureden). Aber es ist schon seltsam: Wären z.B. Russland oder die Ukraine vergleichbar das Thema (nicht EU, o.k., aber dennoch wichtig), würden m.E. medial hierzulande wohl vor allem die Oligarchen aufs Korn genommen, es sei denn, sie haben gute Anwälte, und weniger das gemeine Volk (also: alle). Und Oligarchen gibt es in Griechenland ja auch, soweit ich weiß, und auch schlimm.

  4. Was ich nicht verstehe ist folgendes: Wenn so offensichtlich abstruses Zeug geschrieben wird, das meiner Meinung nach jeglichem „gesunden Menschenverstand“ widerspricht führt das zumindest bei mir dazu, dass ich misstrauisch werde und nachrecherchiere um mir eine eigene Meinung zu bilden. Wieso geht das Millionen anderen nicht auch so, wieso glaubt fast jeder völlig unkritisch diesen Dreck? Nur weil es (fast) alle so sehen??? Ein Lehrer von mir sagte zu diesem Thema immer: „Leute fresst Scheiße, denn Milliarden von Fliegen können nicht irren…“

  5. @jokahl: Das Problem hier ist, dass die Deutschen die Griechen eigentlich lieben. Für die Deutschen leben die Griechen eine lange, wilde Liebesgeschichte mit dem Leben, und die Deutschen bewegt das sehr. Wir waren in allen Umfragen immer die beliebteste Einwanderer-Gruppe, und haben uns nicht gewehrt, obwohl einzelne Gründe dafür (die Griechen können feiern, sie lieben das Leben, sie sind Schlitzohren) damals auch schon Klischees waren und keine Tatsachen. Dieselben Klischees werden jetzt gegen uns gedreht, und es ist schwer, sich zu wehren, weil die Deutschen eben glauben, sie würden „die Griechen“ kennen. Das gleiche Problem werden Portugal und Spanien nicht haben, denn die sind zu unbekannt. Hätte es Italien erwischt, hätten wir jetzt das ganze auf Mafia gedreht.
    @Peter: Die Antwort gilt hier natürlich auch. Aber das Thema ist das, was wir in einem früheren Eintrag schon einmal hatten: Wenn man es geschaft hat, einen bestimmten Verständnisrahmen aufzubauen, dann spielen Fakten keine Rolle mehr. Hier haben Bild, Stern und Focus rasend schnell den Rahmen geschaffen: Die Griechen sind faule Betrüger und wollen wieder nur unser Geld. Der Rahmen steht, und alle Information prallt ab, wenn sie nicht hineinpasst. Die Leute wollen einen Schuldigen und sich aufregen, nicht Informationen, die sie reflektieren müssten. Das ist die traurige Wahrheit, und es ist der Grund, warum Arschlöcher so oft gewinnen.

  6. @mikis/5. Dass die Portugiesen und die Spanier demnächst besser wegkommen, da wäre ich mir nicht so sicher: die Portugiesen sind (was ich jetzt alles mal prophylaktisch-medial-empirisch prophezeie) vielfach ausgewiesene Melancholiker (Fado!), die schon deshalb nix auf die Reihe kriegen und die Spanier feiern zu gern (Fiesta!) und schlafen zu viel (Siesta!), beide Länder sind zudem (nach 1945!) post-diktaturbelastet. Da wird sich schon einiges finden lassen. Und dann erst die Iren, das kommt ja wohl auch noch: Ist doch klar, dass das nicht gut gehen konnte, wenn die soviel saufen.

  7. Wehren wir in diesem Fall den Anfängen. Es müssen nicht noch mehr Völker gedemütigt werden.

  8. Aber, denn so staatstragend wollte ich eigentlich gar nicht sein (nix für unklug, ist einfach nicht mein Ding), die von Dir sehr plausibel dargestellte Sachlage der Sache müsste für Dich derzeit doch eigentlich die perfekten Tage für Anti-Mainstream-Journalism einläuten, also bei denen, die das so gern für sich in Anspruch nehmen, ich würde mal sagen, beim SZ-Magazin oder bei der Weltwoche etwa. Meinetwegen bei Cicero. Chancen?

  9. Das mit dem SZ-Magazin muss ein Witz sein: Die haben den schlimmsten Text von allen gedruckt, geschrieben auch noch von einem griechischen Mitarbeiter, der dann die Sünden seiner Familie aufzählen durfte (die offensichtlich durch und durch korrupt ist: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/32559). Das hat, glaube ich, dem Ansehen der Griechen genau so viel geschadet wie drei Tage Bild (und er hat sich dieselben fehlinterpretierten Zahlen rausgesucht). Das war leider, bevor die Krise Griechenland voll erwischt hat, der gefühlte „Anti-Mainstream“ – lustige Geschichten über die korrupten Griechen (die es ja gibt. Nur wird so getan, als wären „die Griechen eben so“. Dabei ist es die ganz normale griechische Bevölkerung, die unter der Korruption am meisten leidet).
    In Wahrheit ist das, was fehlt, der Mainstream, die einfache Erklärung: Übermäßige Staatsausgaben bringen ein europäisches Land nur sehr begrenzt in diese Bedrängnis, und die Staatsquote in Griechenland war in den Jahren bis zur Finanzkrise absolut vergleichbar mit der deutschen (http://de.wikipedia.org/wiki/Griechischer_Staatshaushalt). Da waren viele, viele Fehler dabei, aber das Problem Griechenlands ist die schwache Volkswirtschaft. In drei Sätzen: Seit der Euro-Einführung sind die Preise so explodiert (in machen Bereichen des täglichen Lebens um 40 Prozent), dass die Löhne zumindest teilweise nachziehen mussten. Das hat die ohnehin schwache Industrie noch weniger wettbewerbsfähig werden lassen. Und dann kam die Finanzkrise, die alle drei Säulen der griechischen Wirtschaft (Schifffahrt, Tourismus und Bau) extrem getroffen hat. 15 Prozent des BIP weg, mehr als in jedem anderen Euroland. Und in dieser Situation begannen die Banken, gegen Griechenland zu zocken. Das war dann das.
    All das bedeutet nicht, dass es die Alltagskorruption, die Steuerhinterziehung usw. nicht gibt. Die gibt es. Angeblich liegt der Anteil der so genannten Schattenwirtschaft bei 40 Prozent (Deutschland: 15 Prozent). All das ist nicht gut. Aber es ist seit vielen Jahren so, und es wäre auch noch eine Weile gegangen und vielleicht hätten sogar die kleinen Schritte, die es ja gab, zu einer langsamen, nachhaltigen Modernisierung geführt. Aber dann kam die Finanzkrise, und dieselben Banken, die sie ausgelöst haben, verdienen nun wieder. Das ist aber natürlich nicht so spannend wie zu behaupten, die gierigen griechischen Rentner würden das Land zerstören.

  10. Oje, es ist einfach nur so schwer zu verstehen, Dein Engagement in Ehren, aber im Prinzip bleibt nach wie vor vieles im Dunkeln, genauso wie im Beitrag des Alexandros Stefanidis, der in dem SZ-Mag-Stück einen Onkel outet und seinen eigenen Vater zudem (sic! im Nachsatz, wenn das alles so stimmt), was ja eigentlich total unsympathisch ist, wenn es denn stimmt. Im Gegensatz zu Dir übrigens (sympathisch!), der die Debatte auch am Beispiel seines Vaters eröffnet hat. Darin allerdings könnte sich vielleicht eine Diskussion entzünden: Du hast Deinen Vater als Beispiel herangezogen, dass vieles unwahr geschildert wird, Stefanidis (der, denke ich, so etwa 5-10 Jahre jünger sein wird als Du), wird vom SZ-Magazin als Gegenbeispiel gewürdigt. Keine Ahnung, warum er das mitmacht, aber daraus dürfte sich etwas machen lassen.

  11. Bestimmt könnte jemand daraus etwas machen, aber ich will das nicht (Alexandros und ich kennen uns übrigens zumindest flüchtig aus der Journalistenschule. Ich weiß aber auch nicht, warum er das gemacht hat. Ich nehme an, als das erschienen ist – bevor die ganze Bild-Kampagne usw. angefangen haben – fand er es cool).

  12. Na ja,
    in Griechenland gab und gibt es auf dem allgemeinen öffentlichen Sektor selbst heute noch skandalöse Ausnahme- und Sonderregelungen, die nun hoffentlich bald allesamt endgültig der Vergangenheit angehören werden. Die sozialen Verbrechen der Vergangenheit können jedoch leider nicht mehr rückgängig gemacht werden, ohne auch die letzten verbliebenen rechtsstaatlichen Prinzipien außer Kraft setzen zu müssen.
    Nicht zuletzt im Rahmen des aktuell verfügten bzw. von EU und IWF aufgezwungenen Sparpaketes werden immerhin nachhaltige Akzente gesetzt, die zwar die „Altbelastungen“ auf keinen Fall kompensieren, jedoch wenigstens als Anzeichen einer neuen Ära gedeutet werden können. Wie immer trifft es allerdings primär wieder einmal nachhaltig den „kleinen Mann“, weitere Verarmung und Verelendung sind vorprogrammiert.
    Es bleibt also nur zu hoffen, dass die Hellenen die gigantische Kröte schlucken und der insbesondere in Deutschland nachhaltig als „parasitäres Anhängsel der EU“ diskreditierte Staat auf dem Zipfel des Balkans (sprich Griechenland) schließlich nicht doch noch ungerechterweise als Auslöser eines – sei es auch letztendlich früher oder später unabwendbaren – sozialen Vulkanausbruchs bisher ungeahnten oder / und geflissentlich ignorierten Ausmaßes in die Geschichte eingehen wird.

  13. @Peter

    „wieso glaubt fast jeder völlig unkritisch diesen Dreck?“

    Naive Frage: Ist das denn tatsächlich so? Hat die Bild-Zeitung wirklich so viel Wirkung, wie sie selbst es gerne hätte? Ich bin mir da nicht immer so sicher.

    Ein Problem, das ich (auch an mir) erkenne, wenn man sich vornehmlich „in den Medien“ aufhält, ist, das man, auch und gerade als kritischer Beobachter, dazu tendiert, das für die Realität aller zu halten. Ich würde mal meinen, das vielen Leuten die (nicht nur in diesem Fall) hilflosen Agenda-Setting-Versuche entweder komplett am Hintern vorbei gehen oder sie sie als solche erkennen.

    Schlimm wirds allerdings dann, wenn die Politik meint, Medien würden Stimmungen wiedergeben und Realitäten abbilden, und entsprechend handelt. Das scheint mir hier (Rentenlüge, Griechenbashing) aber (noch) nicht der Fall zu sein. Von wahltaktischem Geplänkel mal abgesehen.

  14. @Linus
    Ob das immer so ist weiß ich natürlich nicht, nur was Griechenland betrifft habe ich schon den Eindruck, dass es in meinem Bekanntenkreis ein stillschweigendes Übereinkommen gibt, dass die Griechen irgendwie schon so sind, wie sie im Moment geschildert werden und mit 50 Jahren in den Ruhestand gehen können und dann weiter 90% Lohn bekommen. Wirtschaft ist einfach ein schwieriges Metier und ganz viele überblättern den Wirtschaftsteil einer Zeitung, weil sie die trockene Materie nicht so recht durchschauen. Das wirkt einfach viel zu komplex. Einfache Antworten sind anschaulich, kurz und prägnant und dass sie meist nicht wahr sind tut der Sache keinen Abbruch.
    Mikis hat das hervorragend auf den Punkt gebracht:
    „Wenn man es geschafft hat, einen bestimmten Verständnisrahmen aufzubauen, dann spielen Fakten keine Rolle mehr. (…) Die Leute wollen einen Schuldigen und sich aufregen, nicht Informationen, die sie reflektieren müssten. Das ist die traurige Wahrheit, und es ist der Grund, warum Arschlöcher so oft gewinnen.“

  15. Eine Frage:
    Wo sind die Journalisten in Griechenland, die das unsägliche und undankbare Deutschland-Bashing kritisieren? Wer hat in den letzten 4 Wochen einmal nicht extrem hässlich über Deutschland und die Deutschen geschrieben (in Griechenland)?
    Ich denke da gerät die Rolle von Bittsteller und Helfer arg durch einander. Muss sich der Helfer allen Ernstes diese Nazi-Triaden gefallen lassen? Und warum ist es dann eigentlich gar nicht so verwunderlich, dass unsere Medien maximal gleich ungerecht sind

    Ich finde ohne Differenzierung braucht man sich beide Seiten nicht zu geben. Und Ihre Kritik an den Deutschen Leitmedien ist ohne Substanz, solange der Unsin aus Griechenland nicht in Griechenland einmal ernsthaft dikutiert wird.

    Zwei Politiker haben, in nicht in Griechenland veröffentlichen, Statements indirekten Dank für den Deutschen Anteil (25-30%) an der Hilfe für Griechenland geäußert. Wer erwartet ernsthaft objetive Medien, wenn man so klat das Gefühl haben muss, augenutzt zu werden…..

    In diesem Sinne hoffe ich auf wenigstens ein Zeichen der Anerkennung aus Griechenland, keine wilden Gegenrechnungen (Dank wäre ja vermutlich schon viel zu viel).
    -M

  16. Lieber Onno Kreuzinger, respektive lieber M, eine Antwort: Selbst wenn Ihre These richtig wäre (dass es in Griechenland ein ausgiebiges Deutschen-Bashing gäbe), was sie nicht ist, wäre die Schlussfolgerung falsch: Auch dann wäre das Verhalten der deutschen Medien falsch. Sie sind da um zu informieren, nicht dazu, den Volkszorn in falsche Anschuldigungen und Beleidigungen umzumünzen.
    Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, woher Sie Ihre Informationen nehmen: Eine Menge griechischer Politiker haben sich für die europäische und deutsche Solidarität bedankt, der griechische Parlamentspräsident hat einen Brief an den Stern geschrieben, der auch veröffentlicht wurde undsoweiter undsofort. Ich freue mich über Ihre Teilnahme an der Diskussion, jede Stimme ist wichtig, aber ich fände ein Mindestmaß an Information hilfreich. Das ist übrigens in dieser ganzen Diskussion mein Standpunkt gewesen: Die deutschen Medien haben in einer Größenordnung versagt, die zur Folge hat, dass die deutsche Bevölkerung selbst bei echtem Interesse kaum eine Chance hat, ein Bild von der Lage in Griechenland zu bekommen, das auch nur in Ansätzen die Realität widerspiegelt.

    PS. Was es in Griechenland gibt ist übrigens ein extremes Griechen-Bashing. Lesen Sie doch einmal dieses Editorial, das ursprünglich in einer griechischen Zeitung erschienen ist. Vielleicht gibt Ihnen das einen besseren Einblick: http://www.nytimes.com/2010/04/28/opinion/28iht-edkostandaras.html

  17. @Peter
    „Wieso geht das Millionen anderen nicht auch so, wieso glaubt fast jeder völlig unkritisch diesen Dreck?“

    Ich kann mir vorstellen, dass es an unserem Südländer-Klischee-Bild liegt. Der Südländer gilt (im Stereotyp) als faul und lebenslustig. Er arbeitet nicht gerne, aber feiert um so lieber. Dieses Klischee gibt es als Grund für Ressentiments, aber auch für Träume frustrierter Großstädter. Die Griechenlandurlauber suchen dann nicht nur Sonne und Meer, sondern auch die angeblich entspannte Lebenshaltung der mediteranen Völker. Sie wollen ihre eigene Arbeitsdisziplin abschütteln, daher projizieren sie diese Sehnsucht auf die „Südländer“. Aber diese romantische Verklärung kann auch schnell in Ressentiments umschlagen. Denn die Urlauber legen ihre Arbeitsdisziplin nur während des Urlaubs ab, um hinterher wieder bitterernst zu ackern. Daher ist diese Romantisierung zwiespältig. Sie behandelt den „Südländer“ auch immer als Exoten, der ein bißchen belächelt wird, weil er anders und dabei noch kurios ist. Und wenn es dann ans Eingemachte geht, kommt der alte deutsche Arbeitsstolz wieder hoch und man glaubt nur zu gerne, dass man das einzige Volk ist, dass sein Brot mit harter Arbeit verdient.

  18. Das nennt man Qualitätsjournalismus. 🙁

    @Peter „Leute, fresst….“ bringt’s auf den Punkt.

  19. Da stehen folgende Aussagen gegeneinander:
    1. Die Griechen gehen mit 50 in Rente und werden dabei reich.
    2. Die Griechen gehen mit über 61 in Rente und sind dabei arm.
    Für Aussage 1 gibt es Belege: dpa, Spiegel, Stern und Bild
    Für Aussage 2 gibt es keine Bestätigung.

    Was man als medienkompetenter Mensch bei dieser Beweislage für die Wahrheit halten sollte, dürfte klar sein.

  20. @Skeptiker: Was würdest du als Quelle akzeptieren? Die New York Times vielleicht? Dann findest du diesen Absatz:

    „As a consequence of decades of bargains struck between strong unions and weak governments, Greece has promised early retirement to about 700,000 employees, or 14 percent of its work force, giving it an average retirement age of 61, one of the lowest in Europe.“

    in diesem Text:

    http://www.nytimes.com/2010/03/12/business/global/12pension.html

  21. Wir sind die Nächsten!
    indem Zusammenhang ist auch die Plünderung der Deutschen Rentenversicherung zu nennen.
    Das Selbstverwaltungsorgan der Arbeitnehmer und Arbeitgeber war schon immer den Begehrlichkeiten der Poltik und Wirtschaft ausgesetzt, die sich das einzige sichere Rentensystem zur Beute gemacht haben und gerade jetzt zum Abschuss freigegeben ist.
    Siehe hier, wie das geht:
    http://www.duckhome.de/tb/archives/7918-DGB-unterstuetzt-Propaganda-fuer-den-Riesterrentenbetrug-und-hilft-mit-bei-der-Zerstoerung-des-einzig-sicheren-Rentensystems.html
    Z.B:
    Stets wird behauptet, dass der Steuerzahler Milliarden jährlich in die Rentenkasse zuschießen muss- das ist eine Lüge!
    Dieser sogenannte Bundeszuschuss ist gar keiner.
    Aus der Rentenkasse, also die Gelder der Beitragzahler, werden Jahr für Jahr Milliarden entnommen, für versichertungsfremde Leistungen. Im Jahr 2008 waren es rd. 83 Mrd.
    Zurückgezahlt wurden aber nur rd. 56 Mrd. Damit blieb die Rentenkasse auf einem Defizit von 26 Mrd. sitzen. So hat sich seit 1957 diese gigantische Summe aufggetürmt.
    Mehr Hintergrundinformationen und Zahlen:
    Versicherungsfremde Leistungen in der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung:
    http://www.adg-ev.de/Dokumente/Infos/vfL10Januar.pdf

  22. Warum die falschen Zahlen geglaubt werden? Weil zum Beispiel nicht nach Pensionen und Renten unterschieden wird. Auch dieser (sehr lesenswerte) Artikel macht das nicht.

    Und weil in Griechenland viele Dinge so unglaublich schief laufen: So gibt es z.B. nur 15.000 Leute, die mehr als 100.000 Euro verdienen (http://egghat.blogspot.com/2010/03/zahl-des-tages-040310-15000.html), was natürlich VIEL zu wenig ist. Der Grund ist auch klar: Die Steuererklärung zu „optimieren“ ist einfach und üblich 1.355 Euro Bestechungsgelder im Jahr pro Kopf in Griechenland). Da kann man zur Wahrheit auch ein paar Lügen beimischen …

  23. Lieber egghat, danke für den Kommentar. Aber was mich wundert: Es muss doch dem Unbedarftesten klar sein, dass der durchschnittliche Grieche keine 1355 Euro hat, um damit Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Summe, die ja geschätzt ist, bezieht sich auf die Korruption insgesamt, bei der internationale Firmen die großen Summen benutzen, um sich Aufträge zu ergattern. Und es ist kein Geheimnis, welches die schlimmste davon ist und woher sie kommt. Na, dreimal raten? Eben! Und trotzdem denkt man in Griechenland übrigens nicht, alle Deutschen wären korrupt.

  24. @mikis:

    Ich wär mir da nicht so sicher. Schau dir mal an, was der durchschnittliche Deutsche an Einkommensteuer zahlt. Wenn man da mit 3000 Euro Bestechungsgeld eine Reduzierung um 5.000 Euro erreichen kann, hat man den Schnitt schnell. Aber es geht, wie du richtig sagst, nicht nur im die Steuern. Sondern auch ums „Vergessen“ des Naturschutzgebiets beim Bau von Hotels, das „Verlieren“ der Alkoholprobe von gestern Abend, …

    Dass es in Deutschland und gerade von deutschen Konzernen im Ausland zu viel Bestechungsgelder gibt: Ack. Dass die deutschen dabei das Hauptproblem sind: Nack. Zwischen Deutschland und Griechenland liegen in der Korruptionsweltrangliste von TI nicht ohne Grund über 50 Plätze …

    http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.1526.0.html

    Und da ist Griechenland auf einem Platz mit Rumänien und Bulgarien, wo die Korruption laut EU-Komission deutlich zu hoch ist ….

  25. Lieber egghat, ohne uns verheddern zu wollen: der durchschnittliche Grieche, der ja auch ständig in den Medien an den Pranger gestellt wird, hat nicht die Möglichkeit, durch Bestechung seine Einkommenssteuer zu umgehen. Das Problem trifft eher auf die reichen freiberufler zu, die (wie in der Schweiz) ihre Steuerschuld mit dem Finanzamt verhandeln. Die TI-Zahlen sagen ja auch nicht, dass der durchschnittliche Somalier besticht. Und natürlich greift es nicht in die deutschen Zahlen ein, wenn Firmen wie Daimler oder eben Siemens auf der ganzen welt hunderte Millionen in Schmiergeldern zahlen. Es aber an der Mentalität der Griechen festzumachen, wenn Siemens dort besticht, ist unredlich. Passiert aber trotzdem.

  26. Es ehrt Sie, dass Sie das Land Ihrer Eltern so vehement verteidigen. Aber wer oder was ist denn nun verantwortlich, dass Griechenland pleite ist?

  27. Wg. Bestechung – ich denke, es ist zu einfach, die Korruption auf die Konzerne zu schieben. Nach meinen Erfahrungen (Familie in Griechenland) ist das auch eine ganz alltaegliche Sache – da werden Aerzten kleine Umschlaege ruebergereicht, um eine Operation zu beschleunigen, und eine Baugenehmigung ist ohne Gefaelligkeiten auch nicht zu haben.

  28. @ubwlondon: Es bestreitet doch niemand, dass es das gibt. Schon gar nicht die Griechen, die ja die sind, die darunter leiden. Aber zu konstruieren, wie aus dieser alltagskorruption die Euro-Krise entsteht, braucht es anstelle von volkswirtschaftlichem Grundwissen eine Menge bösen Willen. Es gibt viel zu kritisieren in Griechenland, und das soll und muss man tun. Aber so, wie es passiert, ist es volksverdummung in einer Größenordnung, bei der man sich fragen muss, ob das Absicht oder Dummheit ist. Beides wäre tragisch.

  29. @mikis:

    Das ist sicherlich richtig. Die alltägliche Korruption ist sicherlich nicht der Auslöser für die Eurokrise. Aber wenn man sich die Steuer- und Abgabenquote anschaut, ist sie auch nicht ganz unschuldig daran … Der Anteil der Schwarzarbeit (im weitesten Sinne ja auch Korruption/Steuerhinterziehung) liegt in Griechenland deutlich über dem in Deutschland. Hier etwa 10 bis 15% des BIPs, in GR eher 20 bis 25% des BIPs. Auch das alleine löst die Krise nicht aus, aber alles zusammen eben schon.

    Gibt’s übrigens eine Quelle für das durchschnittliche Renteneintrittsalter? Ich würde das gerne „verbloggen“, aber ohne Quelle ist mir das zu vage …

  30. @egghat: die beste Erläuterung hat die wie immer wunderbare New york Times, die auch im gleichen Aufwasch die Erklärung liefert für sie falschen zahlen in der deutschen presse: e gibt in Griechenland (zu) viele ausnahmeregelungen für Jobs, in denen frühe Verrentung erlaubt ist (z. B. Soldaten usw.), so dass das Durchschnittsalter eben nur bei 61 liegt (wo die deutschen dann gern schreiben 53). Die Geschichte steht online hier: http://www.nytimes.com/2010/03/12/business/global/12pension.html

  31. @mikis

    „Jobs, in denen frühe Verrentung erlaubt ist (z. B. Soldaten usw“
    ————-
    Wieso eigentlich Sonderstatus für das Militär, das meines Wissens seit Euro-Einführung wenig zu kämpfen hatte, und wieso diese horrenden Militärausgaben?

    MfG Martin

  32. Lieber Martin Schmid,

    das sind zwei Fragen. Die zweite Antwort zuerst: Nach wie vor steht Griechenland an seiner Grenze direkt einer Bedrohung gegenüber: Es gibt immer noch den schwebenden „Casus Belli“ der Türkei, die Griechenland erklärt hat für den Fall, dass das Land internationales Recht umsetzt und die gültige 12-Meilen-Zone um seine Inseln umsetzt (Griechenland beansprucht entgegen seines Rechtes nur sechs Meilen). Aus dem türkischen Parlament werden immer wieder Einmarschszenarien für Griechenland an die Presse durchgesteckt und es dringen praktisch jeden Tag Kampfflieger in den griechischen Luftraum ein und müssen in so genannetn „Dog Fights“ – Scheingefechten – abgedrängt werden. Man nennt den Konflikt den „nicht erklärten Kalten Krieg“. Und natürlich ist Griechenland ein besonderer Partner und letztlich der Garant für das EU-Mitglied Zypern, das bis heute teilweise von der Türkei besetzt ist. Deshalb sind die Militärausgaben im Verhältnis zu den anderen EU-Staaten sehr hoch (im Verhältnis: Deutschland hat 7,5 mal mehr Einwohner aber nur ein drei mal höheres Militärbudget, trotz Afghanistan). Nebenbei: Deutschland verkauft Rüstungsgüter an beide Parteien (13 Prozent der deutschen Rüstungsexporte gehen nach Griechenland. Und als Westerwelle im Februar in Athen war, hat er Griechenland nicht nur zum Sparen ermuntert, sondern auch zum Kauf von 60 Eurofightern, die ja von einem Konsortium aus Bayern gebaut werden).
    Und Soldaten gehen in praktisch allen Ländern früher in Rente als die meisten anderen Berufe, weil ihr Beruf körperlich so anspruchsvoll ist.

    LG, mp

  33. @mikis/34: Aber der Hinweis von Martin Schmid/33 ist nicht ohne, oder? Kalter Griech hin oder her – auf jeden Fall kommen da über die Jahre auch viele Millarden zusammen, die dem Land heute fehlen. Dass Westerwelle einem Pleiteland deutsche Eurofighter aufschwatzen will, ist in diesem Zusammenhang schon fast Korrution höherer Ordnung. Und es wirft sowieso ein verdammt schlechtes Bild auf die deutsche Außenpolitik und die der EU, dass das Türkei-Griechenland-Zypern-Problem überhaupt noch in dieser Form da ist.

  34. Lieber Mikis,

    WIE die horrenden Militärausgaben der Griechen und der Türken traditionell erklärt werden, war mir schon klar, aber die Zeiten ändern sich und an einen Krieg zwischen der Türkei und Griechenland glaubt doch kaum noch jemand. Die Frage ist also, OB die horrenden Ausgaben heutzutage noch zu rechtfertigen sind.

    Ich halte die Top Gun Szenen über der Ägais für einen Anachronismus, wie auch Jokahl andeutet. Derlei militärische – mit Verlaub – Schwanzvergleiche sind späteestens dann nicht mehr hinzunehmen, wenn sich die Streithähne die Show nur auf Pump leisten können.

    Wie soll man es französischen oder deutschen Steuerzahlern oder Anlegern erklären, dass wegen eines dämlichen Streits über 10 Kilometer Seehoheit über kaum besiedelte Inselchen Millionen Euros vergeudet werden? Sollte man dann nicht wirklich darüber nachdenken, diese Inseln zu verscherbeln, wenn sie sowieso nur Kulisse für teure Kriegsspiele sind?

    Dass die Franzosen und die Deutschen die Griechen zwingen, das teure Spielzeug zu kaufen, um ihre Rüstungsarbeitsplätze zu erhalten, mag ich nicht glauben, für das Geld (ca. 400 Millionen pro Jahr) könnte man den Griechen auch 30.000 neue Mittelklasseautos zukommen lassen, die Opel-Arbeiter würde es genauso freuen, wie die Jungs von der Werft.

    Ich denke also schon, dass da eine Menge Imponiergehabe der Griechen (und der Türken) mitspielt, man will halt sein Gesicht nicht verlieren bei den atavistischen griechisch-türkischen Schwanzvegleichen. Und gewiss werden auch ein paar wenige Leute in Griechenland sehr viel Geld mit diesem Quatsch verdienen.

    Aber der griechische Verteidigungsminister isz ja schon am Einlenken, will 25% kürzen, das ist ein Anfang. Und so wird auch diese Krise ihr Gutes haben.

    MfG Martin

  35. PS: Was die frühe Pensionierung von Angehörigen der Streitkräfte betrifft, die Ihrer Meinung nach so einen harten Job haben: Sehen Sie sich mal Sehen Sie sich mal den Demonstranten Christos Vassiloyannis an, der sieht nicht gerade aus, als müsse er jeden Tag durch den Schlamm robben.

    http://www.youtube.com/watch?v=cn6GgoCB8Jg

    MfG M.

  36. @Martin Schmid: Vielen Dank für die Gedanken! Sie haben mir einiges deutlich gemacht, das mir überhaupt nicht bewusst war. Mir ist kurz die Luft weggeblieben, als ich gelesen habe: „die kämpfen doch eh nicht, ist doch nur Show“. Bitte entschuldige, aber mein erster Gedanke war: oh, Gott, wie unfassbar naiv! Aber im zweiten Durchgang kann ich das als Gefühl irgendiwe nachvollziehen, und mehr ist es ja nicht, denn alle Daten und zum Beispiel die gültigen Beschlüsse des türkischen Parlaments zeigen das genaue Gegenteil.

    Aber ichbhabe folgendes festgestellt: Wenn offnesichtlich kluge Menschen wie du das Gefühl haben, es gäbe in dieser Welt keine Bedrohung mehr, während gleichzeitig Territorium eines EU-Mitgliedslandes militärisch besetzt ist (in Zypern) und sich Soldaten gegenüberstehen wie dort, dann muss aus eurer Sicht sehr vieles keinen Sinn machen.

    Wenn Helmut Kohl sagt, sein Europa, also auch das Euro-Europa, sei ein Garant des Friedens, dann muss das für euch klingen wie eine Floskel. Und ich kann das verstehen, ich bin ja auch in der Sicherheit Deutschlands aufgewachsen, und lebe mit dem Grundoptimismus, dass am Ende alles gut wird. Aber ich war auch an der Grenze auf Zypern. Ich habe auch die Kampfjets über der Ägäis gesehen, immer wieder, und unabhängig davon, wer in solchen Konflikten recht hat, sind sie gefährlich. Und natürlich hat Kohl, den ich nicht mag, der aber Grosses für die europäische Einigung geleistet hat, recht. Frieden ist, anders als du es andeutest, keine Selbstverständlichkeit, und was du andeutest könnte falscher nicht sein. Es ist, da gebe ich dir vollkommen recht, schade, das es so ist. Ich wünschte, wie wahrscheinlich fast alle Griechen und genau so viele Türken, ws wäre anders. Aber es ist naiv zu glauben, es wäre so weit, nur weil Deutschland so lange in Sicherheit war.

  37. @viele: Da hier immer wieder die Schuldenfrage angesprochen wird sowie ob und wieviel Solidarität mit Griechenland angemessen erscheint, ist es vielleicht mal ganz sinnvoll, sich vor Augen zu halten, wer hier von wem profitiert. Der große Zusammenhang kommt wie immer viel zu kurz.
    http://www.freitag.de/wochenthema/1018-eine-pleite-k-nnte-helfen
    Irgendwie erinnert mich die ganze Diskussion nämlich an die 90er – da haben alle über die Millarden für den Osten gejammert, obwohl die faktisch ein riesiges Konjunkturprogramm für die westdeutsche Wirtschaft waren.

  38. Danke für die Darstellung der Sorte Journalismus, die ja nun schon gut 100 Jahre existiert („Journaille“) aber scheint es in den letzten Jahren auch bei der sich selbst ausrufenden Qualitätspresse vorherrschend wird.
    Aber das ist halt leider, leider keine Einbahnstrasse: Die Anforderungen an Berichterstattung sind gesunken, zumindest was sich so als Eliten fühlt. Verarschen muss sein, so wie beispielsweise in der Automobilbranche vorgehüpft: Ein Auto, gekauft, das einfach nur klaglos fährt, das ist nichts. Diese Führenden Automobilhersteller sind da viel besser! Alle paar Monate in die Werkstatt zurückrufen ist der Beweis, dass sich die um mein Auto kümmern!
    belef

  39. Ja sou, Michali. Du hast recht: Mein Text „Highway to Hellas“ wurde am 5. Februar 2010 im SZ-Magazin veröffentlicht. Damals gab es noch keine BILD-Kampagne, keinen FOCUS-Stinkefinger, keine unsäglichen Briefe aus der STERN-Redaktion. Was in den letzten Wochen und Monaten über Griechenland in der BILD und anderswo geschrieben wurde, da sind wir einer Meinung, war kein guter und kein schlechter Journalismus – es war gar kein Journalismus. Es war reine Demagogie. Oder: Die Suche nach einem Schuldigen für die ganze Misere. Wir stehen hier also auf derselben Seite.

    Aber: Was es schon im Februar 2010 und auch im Februar 2009 und im Februar 2008 und im Februar 2007 und alle Februar-Monate davor seit Jahrzehnten gab und immer noch gibt, ist ein griechisches Staatswesen, das in Klientelpolitik und in Korruption versinkt. In Griechenland – und das ist eben keine Zeitungsente, dieser Wahrheit müssen wir uns als Griechen stellen, auch wenn’s weh tut – wurde Politik in oligarchisch besetzten Hinterzimmern (von mir aus auch im Salon einer hübschen Yacht) betrieben. Ein sehr reich gewordener Zirkel einflussreicher Wirtschaftsmagnaten hat sich sprichwörtlich die Gunst der amtierenden Politiker erkauft, die daraufhin großzügig große Bauaufträge, lukrative Staatslizenzen, etc. vergaben (die einzelnen Beispiele brauche ich dir – glaube ich – nicht aufzuzählen). Erst vor ein paar Tagen hat die Zeitung „To Vima“ wieder die Besitztümer eines einfachen Parlamentsabgeordneten offen gelegt: Der Mann besitzt beinahe zwei Dutzend Immobilien und mehrere hunderttausend Quadratmeter Grundstücksfläche.

    Natürlich ist die in Deutschland vorherrschende Stimmungsmache unredlich. Natürlich ist es nicht witzig, wenn einfältige Kollegen „Gebt uns Korfu, dann gibt’s Kohle“ schreiben. Im Gegenteil: In Griechenland hat das Entsetzen ausgelöst. Denn es leben immer noch viele Griechen, die in Korfu, Kreta und Nordgriechenland gegen Hitler-Deutschland gekämpft und geblutet haben (Übrigens auch in meiner Familie: Meine Großväter starben beide, als sie die griechisch-albanische Grenze gegen Nazi-Truppen verteidigten.) Natürlich ist es mehr als verständlich, wenn die Griechen auf die Straße gehen und gegen die Sparpläne demonstrieren. Diese Sparpläne sind das härteste, rigoroseste und – ja! – unmoralischste Maßnahmenpaket, das eine Regierung seinen Bürgern je zugemutet hat… Natürlich ist Griechenland, das nur 2,7 Prozent des Euro-Wirtschaftsraums ausmacht, nicht allein Schuld an der Euro-Krise. Und natürlich liegt der Kern des Problems um den Euro viel tiefer versteckt, als uns führende Politiker aus Deutschland und Frankreich weiß machen wollen. (Ich wusste nicht, ob ich vor Wut lachen oder weinen soll, als Merkel im Bundestag – nach wochenlanger Hinhaltetaktik! – auf einmal davon sprach, dass mit den Griechenland-Hilfen nicht nur der Euro, nein, die ganze Idee vom vereinten Europa auf dem Spiel stehe! Eine wahre Groteske.)

    Aber: Als Journalist und als Grieche bin ich der Meinung, dass in Griechenland nicht nur „ein bisschen“ schief gelaufen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten. Nein. Ich bin überzeugt, dass verdammt viel schief gelaufen ist. Darauf baut übrigens auch mein Artikel im SZ-Magazin auf. Deshalb hat mich deine Stellungnahme auch erstaunt. Sie ist abschätzig und unausgewogen – wie die BILD-Kampagne. Ich spreche in erster Linie nicht vom kleinen Mann auf der Straße. Im Gegenteil: Ich prangere vor allem den griechischen Staat an. Ich prangere an, dass eine durchschnittliche griechische Familie 1600 Euro im Jahr an Bestechungsgelder bezahlen muss. Ich prangere an, dass vor allem ärmere und ältere Menschen in staatlichen Krankenhäusern vom Klinikpersonal links liegen gelassen werden. Ich prangere an, dass Minister sich das Recht herausnehmen zu denken, sie stünden über dem Gesetz. Ich prangere auch an, dass viele Menschen (übrigens: ich habe weder meinen Onkel noch meinen Vater „geoutet“: Ich habe meinem Onkel den Text gezeigt und er war damit einverstanden, weil er selbst sieht, in welcher Lage das Land ist und weil er – wie viele andere auch – denkt, dass das irgendwann ein Ende haben muss.) in den Sog dieses verfilzten Apparates gezogen wurden, obwohl sie einst mit guten Vorsätzen in ihr Berufsleben eingestiegen sind. Ich prangere Zustände an, die in Griechenland alltäglich sind, aber nicht alltäglich sein dürften.
    Ich denke, das ist auch die Aufgabe eines jeden Journalisten. Ob Grieche, ob Deutscher.

    Was also deine Einlassungen zu anfangs betrifft:
    1.Ich „durfte“ den Text nicht schreiben, da wurde mir keine Gnade zuteil. Ich habe den Text geschrieben, weil ich ihn schreiben wollte.
    2.Meine Familie ist nicht „durch und durch korrupt“. Hier würde ich dir sogar sehr raten, auf deine Worte zu achten, Michali!
    3.Was dem „Ansehen der Griechen“ schadet…, tja, da sind wir wohl geteilter Meinung. Ich fand und finde, es ist richtig, wenn man als Journalist auf Probleme in Griechenland hinweist und nicht alles – wie in den vergangenen Jahrzehnten – unter den Teppich kehrt. Es sei also die Gegenfrage erlaubt: Was schadet dem Ansehen mehr? Vielleicht schadet es dem „Ansehen“ ja mehr, wenn man nichts tut und nur hinter seinem Schreibtisch sitzt und darauf wartet, angerufen zu werden?
    4.Ich habe diesen Text – wie bereits erwähnt – sehr lange vor der besagten Anti-Griechen-Kampagne geschrieben. Du kannst mir also – und das ist wohl deine Intension – vorwerfen, dass ich dem Ganzen auch noch den Weg bereitet habe. Das meinst du wohl mit „schlimmsten Text“. Dagegen kann ich mich nicht wehren.
    5.Würd ich den Text noch einmal so schreiben? Ja, absolut. (Dennoch: Ich habe eine „falsche“ Zahl im 20.000-Zeichentext. Das ist die von den 94-Prozent-Renten, da habe ich in der Tat den Zusatz vergessen, dass es sich um das Grundgehalt handelt, das in etwa die Hälfte des eigentlichen Gehalts ausmacht. Ja, das tut mir heute immer noch im Herzen weh.)
    6.Es bringt nie etwas, in einer Krise mit dem Finger nur auf andere zu zeigen. Man sollte auch die Stärke haben, eigene Fehler einzugestehen bzw. erstmal zu schauen, dass das eigene Haus in Ordnung ist.

    Mein Haus ist in Ordnung: Und ich werde übrigens jetzt wieder nach Griechenland fahren – und auch bald wieder einen Text im SZ-Magazin veröffentlichen. Diesmal aber unter anderen Vorzeichen. Es wird – BILD sei Dank – eine Verteidigung Griechenlands werden. Denn – wie gesagt: Vom kleinen Mann auf der Straße hatte ich noch gar nicht gesprochen.

  40. Gia sou Alexi,

    vielen dank für die lange Ausführung. Natürlich sind wir uns in vielem einig, und ich habe nie etwas gegen Kritik an Griechenland gesagt. Aber Einige Dinge bleiben falsch: der durchschnittliche Grieche hat keine 1600 Euro im Jahr für Bestechungsgelder, da werden die Siemens-Millionen mit umgelegt, und das weißt du. Über die „übliche“ Rente mit 50 brauchen wir nicht mehr reden. Aber am schlimmsten ist der Grundeindruck, der enstanden ist, und der die griechische Mentalität für die Krise verantwortlich macht, was in absurder Weise die Realität verzerrt. Natürlich weiß ich, dass du das weder wolltest noch zu verantworten hast, aber wenn ich erlebe, wie dein Text gerade deshalb, weil du Grieche bist, mir immer wieder als Beleg unter die nase gerieben wird, wünschte ich ehrlich gesagt einfach, du hättest ihn dir verkniffen.

    Obwohl er sehr gut geschrieben war. Das nur nebenbei.

    Wir bereden das hoffentlich bald mal bei einem Bier (Mythos?).

    Michalis

  41. Ja, der Kommentar geriet ein wenig lang, zugegeben. Was die Höhe der Fakelaki-Jahresausgaben je Familie angeht: Deutschlands Vorzeigeunternehmen Siemens hin oder her. Auch wenn’s nur 500 Euro im Jahr wären – das ist schlicht zu viel.
    Ja, das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Griechenland liegt zwischen 61 und 62 Jahren. So wie in Deutschland. Die Durchsnchnittsrente in GR liegt bei etwa 617 Euro – und das bei gleich hohen oder eher höheren Lebenshaltungskosten.
    Aber das ist jamein Punkt: Während der überwiegende Teil der Griechen als Arbeiter (der kleine Mann von der Straße) gerade mal so über die Runden kommt, existiert in Griechenland eine Riege altgedienter Staatsdiener, die – ohne Abstriche – fürs still Sitzen und still Halten bezahlt werden. Die anfallende Arbeit machen dagegen viele unterbezahlte junge Menschen, die ohne Krankenversicherung und ohne Zuschläge froh sein können, überhaupt einen dieser amoralischen Auf-Zeit-Jobs bekommen zu haben. Du weißt, diese Liste ließe sich fortsetzen. Dieser Staat ist nach 25 Jahren Reformstau ein Wrack. Ohne Wenn und Aber.

    Michali, ich setze übrigens trotzdem große Hoffnungen in Papandreou. Paradox, nicht wahr? Er hat – meiner Ansicht nach – den Willen, tatsächlich Veränderungen herbeizuführen. Und er hat diese Chance verdient.

    Mythos oder Heineken – Hauptsache: Prasini. Ante jamas!

    PS. Wenn dir die Leute meinen Text demnächst mal wieder unter die Nase reiben, kannst du ihnen ja sagen: Wenn Deutschland die Schwarzarbeit im Land endlich in den Griff kriegen würde, könnte man nicht nur alle Schulden GRs bezahlen. Es würden auch gut 60 Milliarden für Kitas, neue Lehrer, besser ausgestattete Unis – und (hahaha) fette Steuersenkungen übrig bleiben.

  42. Pingback: Anonymous

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