Osama bin Laden hat Angst vor mir

Medien ist der Hang zum Sensationellen immanent, das Alltägliche übersehen sie gern. Das macht wahrscheinlich einen Teil ihrer Faszination aus, aber vielleicht weniger, als man denken könnte. Gerade am Beispiel der angeblich konkreten Bedrohungslage durch islamistische Terroristen wird das dieser Tage wieder einmal deutlich: Es wird auf der einen Seite gemutmaßt und behauptet, aufgeblasen und spekuliert. Es wird Angst gemacht, weil Angst angeblich verkauft. Wenn es je ein Beispiel gegeben hat, das den schwammigen Auftrag der klassischen journalistischen Medien deutlich gemacht hat, dann dieses hysterische Warnen vor Hysterie.

Es ist faszinierend, wie wenige dabei auf die Idee kommen, was in so einem Moment die Aufgabe der Medien wäre. Denn die bloße Information, also die Aufklärung über die tatsächliche Bedrohung oder Hinweise darauf, wie dieser Bedrohung zu begegnen sei, kann es nicht sein – denn das wäre nach einem Tag erledigt, es weiß ja niemand etwas wirklich Konkretes. Auf der anderen Seite kann es aber auch nicht sein, dass der Leser morgens die Zeitung aufschlägt, und das Thema, über das alle reden, kommt einfach nicht vor, weil es nichts Neues zu berichten gibt. Es passiert also das, was immer passiert, wenn die Nation ein Thema bewegt, das viel Raum für Spekulationen lässt und wenig echte Fakten bietet: Es werden Nichtigkeiten ausgebreitet – oder gleich direkt über die Angst berichtet. Gehen Sie dieses Jahr auf einen Weihnachtsmarkt?

Dabei ist die Antwort so naheliegend, dass man sie wahrscheinlich einfach nicht sehen kann: Wenn es tatsächlich eine Bedrohung durch Terroristen gibt, denen unser Lebenswandel und der Aufbau unserer Gesellschaft nicht gefällt, dann jetzt ein guter Moment, unseren Lebenswandel und unsere Gesellschaft zu feiern. Wenn es überhaupt so etwas wie eine auch nur im Ansatz durchdeklinierbare Erklärung für den Terror gibt, dann die, dass uns ein paar Fehlgeleitete davon abhalten wollen, so zu leben, wie wir leben. Und weil sie das nicht schaffen, wollen sie uns umbringen. Sie müssen wahnsinnige Angst haben, dass wir ansteckend sind.

Ich persönlich bin einigermaßen entspannt in Bezug auf die Gefahr, dass irgendwann Männer die Weltherrschaft übernehmen, die es als Paradies empfinden, 72 Jungfrauen zu ihrer Verfügung zu haben. Irgendwie kann ich Männer, die so offensichtlich Angst vor erwachsenen Frauen haben, nur begrenzt als bedrohlich empfinden. Aber Tatsache ist auch, dass sie uns vielleicht nicht alle umbringen können, aber ein paar von uns. Es wird möglicherweise auch in Zukunft nicht gelingen, jeden einzelnen von uns vor Terrorakten zu beschützen. Oder, um es klar zu sagen: Es kann sein, dass ein Terrorist meinen Tod bestimmt. Aber es darf keinem von ihnen gelingen, mein Leben zu bestimmen.

Die Londoner haben dieser Tatsache nach den verheerenden Anschlägen in der U-Bahn 2005 ein Denkmal gesetzt mit der Aktion We are not afraid. Es gibt jetzt ein deutsches Pendant, angestoßen von Mario Sixtus, dem zum Glück und ganz natürlich die Fallhöhe der englischen Aktion abgeht, weil es einen verheerenden Anschlag in Deutschland eben noch nicht gegeben hat. Aber auch hier wird die eigentliche Größe schon deutlich, die der Name noch verschweigt: Die Aktion heißt „Wir haben keine Angst“ – aber das ist eben höchstens halb richtig. Die Wahrheit ist noch viel besser: Natürlich haben wir Angst, aber wir haben eben auch den Mut, uns nicht von Menschen mit Bomben und fanatischen Ideologien unser Leben diktieren zu lassen. Wir haben Angst, aber eben auch den Mut, trotzdem nicht jedes Telefongespräch abhören zu wollen und nicht hinter jedem Moslem einen potenziellen Mörder zu vermuten. Wir haben vielleicht Angst vor dem Tod, aber es nimmt uns nicht den Mut zu leben.

Plötzlich ist das Alltägliche sensationell, und es wundert mich, dass wir es nicht zum Thema machen. Jeder, der in einer deutschen Großstadt in die U-Bahn steigt, auf einen Weihnachtsmarkt geht oder einfach nur genau so weitermacht wie bisher, ist ein ein gestreckter Mittelfinger in Richtung von Osama bin Laden. Warum das nicht jeden Tag in der Boulevard-Presse steht, sondern stattdessen selbsterklärte Terrorexperten lauwarmes Garnichts erklären dürfen, ist mir ein Rätsel.

Ich erinnere mich noch an den Wirbel, den der damalige Innenminister Otto Schily mit dem eigentlich eher nichtssagenden Zitat zum Thema Selbstmordattentäter ausgelöst hat „Wer den Tod liebt, kann ihn haben“. Natürlich kann er das, und auch das liegt im Aufgabenbereich der Politik: Das Nötige für die Sicherheit zu tun. Aber worüber es sich zu reden lohnt ist das Gegenteil: Wer das Leben liebt, der soll es haben können. Und das sind wir. Jeden Tag.

14 Antworten auf „Osama bin Laden hat Angst vor mir“

  1. „Natürlich haben wir Angst, aber wir haben eben auch den Mut, uns nicht von Menschen mit Bomben und fanatischen Ideologien unser Leben diktieren zu lassen.“

    So abgehoben es für manche auch klingen mag: Ich habe wirklich keine Angst. Richtig schöne, eikalte, gefühllose, rationale, kalkulierte Nicht-Angst.

  2. Der Mann hat einfach nur recht, trotzdem ist es der Horror schlecht hin, das unsere Regierungen, dies Islamisten mißbrauchen um die Bürgerechte immer mehr zu beschneiden.Ehrliche Regierungen würden genau das tun, was auch ein Familienvater mit Eiern in der Hose tun würde,wenn seine Familie angegriffen wird. Die Sache still und leise regeln.Mit ein paar gutausgebildeten Scharfschützen.

  3. Im großen und ganzen stößt Du doch in das selbe Horn, indem Du den pösen pösen Musel-Terroristen dort hinmalst, wo er noch nie in Erscheinung getreten ist. Mir machen Moslems und Al Kaida wirklich keine Angst. Mein durch schlechtes So-Weiterleben-Wie-Bisher ist auch ein Mittelfinger. Aber dieser gilt nicht Bin Laden, der mir noch nie Angst gemacht hat, sondern den Wiefelspützes, Schilys, Schäubles und de Maizieres dieses Landes, die es täglich versuchen und damit leider bei vielen – offensichtlich auch bei Dir – Erfolg haben.

  4. @pantoffelpunk: Findest du nicht, dass du da ein bisschen unfair bist?
    Meiner Meinung nach kritisierst du da was, was mikis nicht gesagt hat.
    Mir gefällt der Artikel jedenfalls, auch wenn er vielleicht hier und da ein bisschen weniger pathetisch sein dürfte, aber irgendwas ist ja immer.

  5. Das Spannende ist, dass bis auf ein paar Ideen mancher nicht ganz so wichtiger Politiker eigentlich keiner irgend etwas gefordert hat. In der Tat tauchen in den Medien jetzt Sätze auf wie „Politiker fordern daher“ ohne, dass irgend etwas folgen würde.

    Ich habe keine Angst vor diesem Staat und insbesondere vor diesem Innenminister. Aber da bin ich hier wohl als zu naiv gebrandmarkt, nur weil ich jetzt in irgend welchen Forderungen nicht gleich den Untergang der Demokratie wittere.

  6. Ich finde es vollkommen richtig, dass man sich nicht von der Angst vor potentiellen Anschlägen in seinem Leben einschränken lassen sollte. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass man sich ebenfalls nicht durch suggerierte Angst und blinden Aktionismus durch die Politiker unseres Landes einschränken lässt. Und auch wenn es nur einzelne Persönlichkeiten sind, die Einschränkungen in der Pressefreiheit oder Verdächtigung von anders aussehenden Nachbarn fordern, finde ich diese Tendenzen äußerst bedenklich. Letztendlich kann es doch nicht der richtige Weg sein, die „demokratische Freiheit“ zu schützen, indem man diese untergräbt.
    Einen ausführlicheren Kommentar gibt es auf meinem Blog: http://www.mysha.de/blog/anti-terror-zensur-generalverdacht

    Grüße
    Stefan

  7. … ein paar Fehlgeleitete wollen uns davon abhalten, so zu leben, wie wir leben? Wie leben “wir” denn? “Wir” überfallen ein Land wegen seiner Ölvorräte, “wir” unterstützen den israelischen Terror in den besetzten Gebieten. Das nur als Beispiel. Manchmal kann einem beim Anblick der westlichen Welt wirklich das Kotzen kommen. Am wenigsten zu ertragen sind dabei die pseudokritischen Betroffenheitsblogger mit ihrem moralinsaueren Freizeit-Journalismus. Die machen mir am meisten Angst.

  8. Boah, ich kanns nicht mehr hören: Terror!
    Jedes Jahr sterben 8000 Menschen auf deutschen Straßen – die Wahrscheinlichkeit auf der Straße zu sterben ist also 8000 mal so hoch wie bei einem Anschlag ermordet zu werden.
    Man sollte nicht mehr raus auf die Straße gehen und Autos sollten auch komplett verboten werden! Autofahrer sind Mörder und so…

  9. Echt ey, und Alter! Jedes Jahr sterben zigtausende an ihrem Alter! Man sollte nicht mehr älter werden. Das Alter tötet und so …

  10. @Alex
    Ich finde, an der Terrorangst tragen auch einige Medien Schuld. Dem ZDF zum Beispiel war Thomas de Maizière wohl zu soft. Da haben sie bei „Berlin direkt“ lieber Wolfgang Schäuble zur Inneren Sicherheit gefragt. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/368#/beitrag/video/1195940/Berlin-direkt-vom-21-November-2010 und erst danach durfte der Mann auch was zu den Finanzen antworten. Immerhin hat er sich nicht aus der Reserve locken lassen.

  11. Ich freue mich, dass der Anführer des Terrorismus endlich gestorben ist. Ich finde es gut, dass er endlich für seine Taten bestraft wurde. Doch ich bin ein wenig verängstigt, dass es wieder Rache geben könnte. Ich frage mich, ob wir eines Tages keine Angst mehr vor Terroristen Anschlägen haben müssen. Wir müssen die Anti-Terrorgesetze verschärfen und müssen den Krieg gegen den Terror steigern. Der Terrorismus und der Krieg muss endlich aufhören. Hier kann man noch bessere Infos zu diesem Thema finden.

  12. Ich kann nicht verstehen, dass die Europäer, allen voraus natürlich die überkorrekten Deutschen, die Oberdenkenträger geben. Von wegen Völkerrecht und rechtsstaatliches einwandfreies Verfahren im Fall eines Terrorchefs wie bin Laden. Sicherlich, eine Verhaftung wäre wünschenswert gewesen, aber die Amerikaner haben aus verständlichen Gründen vor dieser Variante zurückgeschreckt. Einen Gerichtsprozess, der möglicherweise Jahre gedauert hätte, wollten sich die Amis ersparen. Und das aus gutem Beweggrund. Die Terrorgefahr wäre eher gestiegen als gesunken.

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