Minister des Äußersten

Guido Westerwelle hat sich leider inzwischen bis zur Unkenntlichkeit entblößt, insofern ist es schade, aber nicht verwunderlich, dass von seinem Interview in der Bild am Sonntag nur die hoffnungsreiche Behauptung zitiert wird, er verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt. Er wird wahrscheinlich noch feststellen, dass es bei Aufrechterhaltung einer solchen Ansage nicht nur auf ihn, sondern auch auf den Sturm ankommt. Aber das ist längst schon egal. Viel entlarvender ist, wie wenig von diesem Außenminister zur deutschen Außenpolitik zu hören ist, und wie sehr das Wenige geprägt ist von der politischen Kultur, die der Vizekanzler selbst in diese Regierung getragen hat.

In der zweiten Hälfte des Interviews, als er endlich über die Welt da draußen sprechen kann, entspinnt sich ein bemerkenswerter Gedankengang.

Frage: Alt-Kanzler Helmut Schmidt sagt voraus, Deutschland werde die Rettung des Euro mit viel Geld und dem Verlust an Souveränität bezahlen. Glauben Sie, dass die Bürger dazu bereit sein werden?

Westerwelle: Ich denke nicht, dass uns Europa oder der Schutz unserer Währung mehr Geld kosten, als uns die EU bringt. Wir Deutsche exportieren immer noch mehr in die Niederlande als nach China, mehr nach Frankreich als in die USA und mehr nach Belgien als nach Indien. Ein Viertel bis ein Drittel unserer Arbeitsplätze hängt direkt von unserer Vernetzung in Europa ab.

Steht wirklich Europa auf dem Spiel?

Nein. Europa ist stark als Friedensunion und als Wohlstandsversicherung in Zeiten der Globalisierung. Auch Deutschland als stärkste Volkswirtschaft in Europa ist heute nicht mehr in der Lage, allein gegen aufstrebende Volkswirtschaften mit mehr als einer Milliarde Menschen zu bestehen.

Die Preisfrage lautet jetzt wohl: Wie steht das offizielle Deutschland zu Europa? Und warum? Sind wir dafür, so lange wir weiterhin mehr daran verdienen, als es uns kostet? Und, so schön eine Friedensunion und eine Wohlstandsversicherung auch sind – und so schön ich es als halber Grieche auch finde, dass er mal darauf hinweist, dass es so ist –, ist das jetzt seine ganze Idee von Europa? Oder nur der Teil der Idee, den er für verkäuflich hält? Oder, wörtlich genommen, sind die anderen Gesichtspunkte, unter denen man Europa sehen kann, einfach zu schwach? Könnte man sagen, Europa ist stark als Friedensunion und Wohlstandsversicherung, aber schwach als Kulturraum? Und was genau ist nun eigentlich die deutsche Außenpolitik?

Guido Westerwelle hat es in sehr schnellem Tempo geschafft, seine eigene Karriere und den Höhenflug seiner Partei zu zertrümmern, und es ist mir egal. Aber wie kann es sein, dass nach einem guten Jahr seiner Regierungszeit die Welt aus der deutschen Sicht plötzlich nur noch ein Ort ist, an dem alle anderen Nationen entweder unser Geld wollen oder Brutstätten sind für Terroristen, unsichere Flughäfen, Einwandererströme und Angriffe auf unsere Währung? Seien wir so ehrlich: Das Wort Europa hat in den Köpfen deutscher Steuerzahler inzwischen einen negativen Nachhall. Und es steht zu befürchten, das Wort Deutschland hat es in den Köpfen der anderen Europäer inzwischen auch. Das ist die Bilanz des ersten Jahres Außenpolitik von Merkel und Westerwelle. Als Außenminister ist er unser lächelndes Gesicht in der Welt, unsere ausgestreckte Hand, er ist derjenige, der für uns Kontakte pflegt, der „netzwerkt“. Aber wenn wir mit irgendeinem Land heute besser befreundet sein sollten als vor 18 Monaten, dann ist das gut vor uns verborgen worden. Hätte er, der aus der Partei der Freunde des Marktes kommt, diese Jahresbilanz als neuer Repräsentant einer Firma, dann hätte er die Probezeit wohl nicht überstanden.

Außenminister sind in Deutschland traditionell beliebt, aber sie sind es nicht automatisch. Selbst der besonders zu Beginn seiner Amtszeit unfassbar dröge wirkende Frank-Walter Steinmeier kam beim Volk gut weg, aber eben, weil er diesen Job ordentlich machte, der daraus besteht, unsere Freundschaften zu pflegen und unsere Feindschaften so auszutarieren, dass sie uns nicht gefährlich werden – und dabei die Welt in einer Weise beeinflussen, die gut für uns ist. Und es ist ein Job, den jeder von uns versteht, weil wir ihn alle selber machen, ob wir nun mit uns mehr oder weniger freundlich gesinnten Kollegen, Behörden oder Lehrern unserer Kinder umgehen müssen. Diplomatie ist uns allen immanent. Aber offensichtlich weiß das der Außenminister nicht.

Westerwelle hat sein Amt von Anfang an umgedeutet. Er sah Außenpolitik als Wirtschaftspolitik im „wohlverstandenen deutschen Interesse“, und ließ das auch so transportieren. Wenn er eine andere Medienstrategie hatte als die, möglichst viel Zählbares mitzubringen, dann ist sie schiefgegangen. Aber wahrscheinlicher ist, dass da im Laufe der Zeit ganz einfach die Natur des Politikers Westerwelle durchgebrochen ist, und dass die Mosaiksteine ein wahres Bild ergeben. So ist er eben, und daran ist nicht viel falsch außer der Tatsache, dass es nicht dem entspricht, was wir unter der Kunst verstehen, mit der Welt in Kontakt zu treten. Dass Westerwelle deutsche Interessen vertritt, ist richtig und wichtig. Dass er zur Betonung seiner Leistung darauf bestanden hat, es so zu kommunizieren, ist die schlimmste Grube, die er sich graben konnte.

Menschen wollen, wenn sie mit anderen Menschen in Kontakt treten, nicht einfach ihre Interessen durchsetzen. Wir wollen Freunde, wir wollen Sicherheit, wir wollen einen Platz in der Welt, und der ist ja nur zu definieren über Abgrenzung oder Zugehörigkeit. Bis vor zwanzig Jahren war die Welt aufgeteilt in zwei Lager, und unser Außenminister sorgte dafür, dass wir ein wichtiges und geachtetes Mitglied in unserem Team waren. Heute fühlen wir uns als ein Spieler in einem großen Wettkampf jeder gegen jeden. Und das liegt nicht nur an der Welt, sondern auch an denen, die sie uns erklären. Auftritt Westerwelle:

Die Stärke Deutschlands in der Welt, sie hängt nämlich nicht zuerst von unseren militärischen Fähigkeiten ab oder der Stärke unserer Streitkräfte. Das alles ist auch wichtig. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ist das wesentliche Fundament unseres Einflusses und unserer Möglichkeiten in der Welt. Die Stärke und das Ansehen Deutschlands in der Welt beruht eben nicht zuerst auf militärischen Kapazitäten, sondern zu aller erst auf diplomatischer Klugheit, auf mitmenschlicher Verantwortung und auf unserer wirtschaftlichen Kraft. Das zusammengenommen macht unsere politische und moralische Autorität in der Welt aus. Und deswegen ist es mir auch ein sehr persönliches Anliegen, dass auch die Außenpolitik ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes leistet.

Das ist alles nicht falsch, aber es hat diese merkwürdige, westerwellsche Färbung, die klingt, als würden wir die Welt zunächst als eine Mine sehen, die es auszubeuten gilt – und als wäre der Nichteinsatz militärischer Mittel dabei eher eine Folge von Schläue als von friedlicher Haltung. Ich kann letztlich nicht beurteilen, ob Westerwelle so flach ist, oder ob er glaubt, dieses Bild von sich zeichnen zu müssen, um seinen besonderen Stil in der Außenpolitik herauszustellen – im Ergebnis wird er jedenfalls von einem Großteil der Bürger des Landes, das er in der Welt vertritt, ziemlich herzlich verachtet.

Es ist mir, wie gesagt, egal ob Westerwelle Chef der FDP bleibt, oder ob diesen Posten im Frühjahr eins der anderen sieben oder acht verbliebenen Parteimitglieder übernimmt. Aber ich glaube, er kann sein Ansehen und Erbe nur über sein wirklich wichtiges Amt retten, und das, indem er deutsche Außenpolitik wieder zu dem macht, was sie einmal war – und uns wieder zu denen, die wir in der Welt sein wollen. Sein Thema liegt vor ihm: Er könnte der Außenminister sein, der die Deutschen mit Europa versöhnt und Europa mit Deutschland. Unumgänglich ist eine echte europäische Einigung ohnehin. Aber sie könnte auch großartig sein. Ein Politiker müsste sich glücklich schätzen, in solchen Zeiten zu leben. Allerdings heißt das auch: Wenn er es nicht hinbekommt, dann liegt es wirklich nur an ihm selbst.

12 Antworten auf „Minister des Äußersten“

  1. Oh ja.
    Ich glaube, das ist der erste wirklich gelungene Blogbeitrag über Herrn Westerwelle, den ich bisher gelesen habe.
    Ob und wo ich inhaltlich zustimme, muss ich mir noch überlegen. Auf den ersten Blick fiele mir auf, dass es vielleicht zu einfach gedacht wäre, aus einer friedlichen Haltung heraus auf militärische Mittel zu verzichten. Vielleicht denke ich da aber auch nur zu zynisch.
    Aber zunächst bin ich beeindruckt.
    Und weil man auch was Kritisches schreiben soll: Es ist zwar sehr diplomatisch von dir, dass du es dir offen hältst, wie du zu der Frage stehst, ob Westerwelle FDP-Vorsitzender bleibt oder nicht, aber ich finde, hier hast du es mit der Flexibilität doch ein bisschen übertrieben.

    „Es ist mir, wie gesagt, ob Westerwelle Chef der FDP bleibt, oder ob diesen Posten im Frühjahr eins der anderen sieben oder acht verbliebenen Parteimitglieder übernimmt.“

    Will sagen: Da fehlt mindestens ein Wort, oder?

  2. Er hat es ja versucht. Sein Thema sollte doch eigentlich die atomare Abrüstung sein, damit hat er losgelegt und erwähnt es auch jetzt noch gelegentlich. Leider scheint das weltweit und vor allem auf Deutschland bezogen wohl gerade kein besonders dringendes Problem zu sein, mit dem sich ein Name machen lässt.

  3. @ Sebastian: Das stimmt! Ich habe das damals als den Versuch abgetan, ein bisschen Obama zu sein, aber fairerweise muss man es feststellen.

  4. @vera: Danke für den Tipp, aber ich kann deine Meinung nicht teilen. Mag auch daran liegen, dass ich Herrn Spreng sowieso nicht mag, aber er hat mich hier gleich am Anfang mit dem peinlich erklärten Witz verloren und im Weiteren mit seinem selbstherrlichen Ich-erklär-euch-mal-die-Welt-Getue nicht wiedergefunden.
    Dass er hier und da Recht haben mag, rettet seinen Artikel auch nicht.

  5. Der Sprengsatz-Artikel geht einigermaßen am tatsächlichen Problem der FDP vorbei. Wer ernstlich ein Fehlkonstrukt wie die »Soziale Marktwirtschaft« retten will, kann ja Seehofer (oder sonst einen Herz-Jesu-Sozialisten) wählen.

  6. @ Le Pen

    Wenn die FDP ihr wahres Gesicht zeigen würde, dann hätte die keine Wähler mehr und würde neben der NPD vor sich hindümpeln. Oh…Moment, das tut sie ja bereits!

  7. Friedensunion und eine Wohlstandsversicherung[..]ist das jetzt seine ganze Idee von Europa?

    So gerne ich beim Guidohauen mitmachen würde: Das ist genau die Idee von Europa, die die MU-EWG-EG-EU-Gründer von Anfang an hatten. Und ich finde das für die nächsten fünfzig Jahre auch eine ausreichende Aufgabe. Einen europäischen Kulturraum zu konstruieren (in Abgrenzungz zu was?) finde ich überflüssig. Wenn man von außen draufguckt, erkennt man uns Europäer und unsere Art schon ganz gut ohne EU-Leitmentalität, während wir unsere kulturellen Wurzeln ja noch nicht mal auf nationalem Niveau sehen, sondern regional (das mag bei Griechen anders aussehen, berichtige mich).

    @vera
    Herrn Spreng kann ich da so nicht zustimmen. Ich glaube, dass sich Westerwelle noch ein Weilchen halten wird, da es keinen geeigneten Kandidaten gibt (da hat er bei Brüderle allerdings Recht). Lindner ist ein Unsymphat, der die FDP bestimmt nicht zurück in die Parlamente bringen wird, Rösler fehlen die cojones und Leutselig-Schnabbeltante hat sich schon zuoft illoyal gezeigt. Also wird Westerwelle die FDP aus den Untiefen der Fraktionsstärke in seichte 3%-Gefilde fahren, wo einem das Wasser nicht bis zum Hals steht. Alsdann werden die aus der dritten Reihe, die ja jetzt da stehen können, das Boot wieder in die Wellen schubsen. Ist doch auch ne runde Sache, so ungefähr ist der Westerwelle damals selbst ans Ruder gekommen (und der Brüderle war damals auch schon Wirtschaftsminister und da bleibt er auch).

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