Das Ende der Demütigungen

Das hier wird schwierig. Ich habe in den letzten Wochen unendlich viel gelesen über die zwei aus meiner Sicht wichtigsten politischen Ereignisse in diesem Land, die Wahl in Hamburg und das Guttenberg-Drama, und ich habe das Gefühl, dass die wichtigste Erkenntnis aus beiden noch nirgendwo besprochen wurde. Was durchaus daran liegen kann, dass ich mit meiner Einschätzung dessen, was daraus zu lernen ist, völlig allein stehe. Aber dann soll es halt so sein.

Es gibt eine einzige Erkenntnis, die mir gefällt an der Diskussion um den erschlichenen Doktortitel unseres Verteidigungsministers. Allerdings verstehe ich nicht, warum niemand in der Berliner Politik sie zu verstehen scheint – weder Regierung noch Opposition. Und ich glaube, dass sie sehr viel mit dem Hamburger Wahlergebnis zu tun hat. Aber auch hier wird sie nicht diskutiert, falls sie überhaupt erkannt wurde.

Fangen wir in Hamburg an: Seitdem Olaf Scholz die absolute Mehrheit in der Hamburger Bürgerschaft erreicht hat, fragen sich die politischen Beobachter in den Zeitungen des Landes, ob das „Modell Scholz“ nicht auch für die Bundes-SPD Erfolg versprechend wäre, und Scholz-Modell meint in ihren Augen wirtschaftsnah, Schröder-Modell, Agenda-Modell. Also etwas, das einem großen, wenn nicht dem größten Teil der SPD-Mitglieder schlaflose Nächte bereitet. Denn sehr viele Sozialdemokraten hassen Hartz IV von ganzem Herzen.

Dabei scheint sich niemand mehr die Mühe zu machen, auch nur eine Minute darüber nachzudenken, was Hartz IV ist und bedeutet. Es ist ein Schlagwort. Am Ende streiten wir uns dann um fünf oder acht Euro, und jeder will gewonnen haben. Dabei ist es nicht schwer zu erkennen, worum es in der Hartz-IV-Diskussion wirklich gehen müsste, was der Kern-Fehler dieser Agenda ist und was es ist, das diese Reform so schwer erträglich macht – und warum es Olaf Scholz schafft, ganz offensichtlich darüber zu stehen. Hinweis: Es hat mit Wirtschaftsfreundlichkeit insofern nichts zu tun, als es noch nie einen sozialdemokratischen Regierungschef in diesem Land gab, der nicht wirtschaftsfreundlich gewesen wäre (der wirtschaftlich erfolgreichste Kanzler der bundesdeutschen Geschichte war Willy Brandt, nur nebenbei). Das ist eine absurde Scheindiskussion. Und die Menschenfeindlichkeit von Hartz IV liegt nicht in Regelsätzen. Sie lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Demütigung.

Hartz IV demütigt. Schon die Drohung von Hartz IV, die ja tendenziell über jedem von uns schwebt, demütigt. Diese Reform hat den Kern dessen, was sie versprochen hat, nicht gehalten: Die Zusammenlegung von Sozialhilfeempfängern und so genannten Langzeitarbeitslosen war angeblich als Versprechen gedacht, niemals aufzuhören mit dem Versuch, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. „Wir glauben an euch“, „wir lassen euch nicht hängen“, „wir sorgen dafür, dass ihr wieder auf die eignen Beine kommt“ – das sollten die Versprechen sein, die mit Hartz IV verknüpft waren. Das Gegenteil ist eingetreten: Noch schneller als vorher waren Menschen abgeschrieben. Ein Jahr arbeitslos, schon in der Hölle, unabhängig von der Lebensleistung: Daran muss man in diesem Land nicht körperlich verhungern – aber die eigene Würde hängt als feuchter Lappen in einem ständigen, tröpfelnden Regen.

Wer Olaf Scholz‘ Wahlkampf verfolgt hat, wird in seiner Rhetorik genau wie in seinem Auftreten möglicherweise ein Muster bemerkt haben, das er selbst als hamburgspezifisch verkauft hat, was es aber nicht sein muss. Er erinnere sich an das Hamburg seiner Jugend als eine Stadt, in der es zwar reichere und ärmere Stadtteile gegeben habe, aber es habe in reicheren Stadtteilen auch immer Menschen gegeben, die nicht so viel hatten, und Menschen mit mehr Geld in den einfacheren Vierteln. Das Schlagwort war „Zusammenhalt“. Das Bild, das es in den Köpfen erzeugt, ist aber nicht nur eines von Zusammenhalt, es ist eines von menschlicher Wertschätzung über den materiellen Stand hinaus. Und das ist die beste Absicherung vor der größten Angst unserer Zeit: der Angst vor Demütigung. In diesem Land muss keiner verhungern. Wir werden nicht verfolgt, gefoltert oder umgebracht. Aber wir haben große und oft auch berechtigte Angst davor, gedemütigt zu werden, und viele von uns werden es in viel zu vielen Lebenssituationen. Das so genannte Geheimnis von Olaf Scholz ist, dass er dem Versprechen von „Ich werde Sie nicht hängen lassen“ ein glaubwürdiges Gesicht gegeben hat (übrigens etwas, dass er zur Einführung der Agenda 2010, als er SPD-Generalsekretär war, nicht einmal ansatzweise geschafft hat. Der Mann ist schon unglaublich gewachsen).

Ohne Frage wäre das ein Modell für die Bundes-SPD, aber eben anders, als es in den Leitartikeln gemeint ist, und man sieht es nirgendwo besser als am Beispiel der Causa Guttenberg. Da verzweifelt die Opposition daran, dass es dem Volk laut Umfragen scheißegal zu sein scheint, dass ein Bundesminister gelogen und betrogen hat. Dabei muss man die Zahlen nur lesen, um zu sehen, dass es so eben nicht stimmt: Es gibt inzwischen viele Umfragen zum Thema, aber im Kern besagen sie nach meinem Verständnis einerseits, dass die Menschen Guttenbergs Arbeit positiv bewerten und ihn als Verteidigungsminister behalten wollen, sie andererseits aber seine Glaubwürdigkeit enorm beschädigt sehen. Und das ist kein Widerspruch.

Wenn man sich die Debatten und Forderungen nach dem Aufpoppen der (inzwischen zweifelsfrei nachgewiesenen) Plagiatsvorwürfe ansieht, dann komme ich auch als Guttenberg-Kritiker, auch als jemand, der meint, der Mann müsse selbstverständlich diesen Ministerstuhl räumen, nicht umhin festzustellen, dass es in den Vorwürfen nicht nur darum ging. Ich glaube, Guttenbergs vorsätzliche Täuschung ist einigermaßen widerlich und er muss zurücktreten. Mir blutet das Herz, wenn ich mir dagegen ansehe, wofür Brandt zurückgetreten ist. Wofür Engholm zurückgetreten ist. Wofür selbst der farblose Rudolf Seiters zurückgetreten ist. Aber die in extremer Schärfe vorgetragenen Vorwürfe der Opposition hatten zusätzlich zu ihrem aus meiner Sicht richtigen Inhalt auch die Funktion, den Minister zu Guttenberg zu demütigen – und das ist der psychologische Moment, in dem bei vielen im Volk der Vorhang gefallen ist. Von da an haben sie Fakten und Argumente ganz einfach nicht mehr gehört. Denn mit Demütigung kennen sie sich aus, und Guttenbergs großer Trumpf ist ja gerade, dass er im Meer „jener da oben“ für viele eine Art projizierte Rankhilfe darstellt, an der man sich aus dem Sumpf der eigenen Existenz zu einer Art gefühlter Größe hochfantasieren kann. Das bedeutet ganz offensichtlich nicht, dass die Menschen so blöd sind, dass sie Guttenberg alles glauben. Es muss auch nicht bedeuten, dass sie ihm alles nachsehen. Aber es bedeutet in jedem Fall, dass sie nicht zulassen wollen, dass er – zumal öffentlich – der Demütigung preisgegeben wird. Und jene Oppositionspolitiker, die das versucht haben, haben trotz der richtigen, überzeugenden Argumente in diesem Punkt überrissen. Und so sehr ich auch finde, dass Guttenberg sich gefälligst ein paar Jahre zurückziehen, eine ordentliche Doktorarbeit schreiben und erst dann den nächsten Anlauf auf die Kanzlerschaft unternehmen sollte; selbst obwohl ich glaube, dass er der parlamentarischen Demokratie schadet, indem er sein Amt dieser schäbigen Lächerlichkeit preisgibt, freue ich mich über den Reflex, festzuhalten, dass in diesem Land gefälligst niemand zur öffentlichen Demütigung freigegeben wird. Ich wünschte nur, dieser Reflex würde öfter greifen (nicht zuletzt bei Guttenbergs fünfter Kolonne in der Bild-Redaktion).

Jetzt werde ich noch einen Trick in guttenbergscher Dialektik vorführen, indem ich das beste Argument gegen meine These als Argument für meine These benutze: das Dschungelcamp. Mit gigantischen Einschaltquoten werden dort Menschen ihrer Würde beraubt, vorgeführt und gedemütigt. Ich glaube aber tatsächlich, dass die Faszination dieser Sendung für viele Zuschauer darin besteht, mitzuerleben, wie diese Gestalten ihre öffentliche Demütigung überleben. Ich glaube, dass viel zu viele von uns täglich metaphorische Kakerlaken fressen, und es unterhalt- und sogar heilsam sein kann, zu erleben, wie selbstverständlich Menschen nach einer solchen Herabwürdigung trotzdem noch im Fernsehen auftreten und sich irgendwie okay finden. Die Dschungelcamper erleben ihre Demütigung stellvertretend für uns alle, das macht sie zu Stars. So wie Guttenberg seine Reue stellvertretend zur Schau trägt, und damit den „Jetzt muss aber auch mal gut sein“-Reflex auslöst. Für mich erklärt das einiges.

Allerdings wäre es trotzdem schön, wenn sich Regierungsarbeit und Trash-TV noch irgendwie unterscheiden ließen.

27 Antworten auf „Das Ende der Demütigungen“

  1. Ein fettes Lob für die Verbindung der Wahl in HH mit der Causa Guttenberg. Medien und Intellektuelle erleben nach meiner Wahrnehmung erstmalig eine komplette Niederlage. Klaus Eck hat heute dazu auch allerhand Kluges gesagt. Vielleicht ist die Einschätzung von Politikern durch die Bevölkerung gleichermaßen abgeklärt wie resigniert nach dem Motto: „Wir werden eh beschissen, jetzt wollen wir wenigstens gut unterhalten werden.“ Und Guttenberg unterhält auf hohem Niveau, das steht fest. Das hat sich schon in der Guttenberg&Gattin-Kundus-Kerner-Sache gezeigt. Die Intellektuellen schrien Pfui, die Bevölkerung Bravo. Guttenberg versteht die Medien besser, als diese sich selbst. Und er versteht es besser mit der Bevölkerung zu kommunizieren als die Medien. Es gibt aus dieser Sache viel zu lernen.

  2. Schwierig. Ich würde es anders formulieren als Du. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, dass Guttenbergs Trumpf beim Volk vielleicht ist, dass es sich viel besser mit einem Delinquenten identifizieren kann, der eine Krise übersteht, dem eine zweite Chance gegeben wird, als mit den schlauen Anklägern.
    Die Verbindung zur Demütigung durch Hartz4 würde ich nicht ziehen, denn, wenn ich Dich richtig verstanden habe, müssten seine Unterstützer vornehmlich aus diesem sozial schwächsten Milieu stammen?

    Ich glaube einfach, dass Guttenbergs Narrativ vom strahlenden leistungsstarken neuen Politiker stark genug ist, um einen Selbsttäuschung der Gesellschaft über sich selbst aufzudecken: Die Leute wollen keine aufrichtigen, anständigen Saubermänner. Die Leute wollen Helden, die nur härter macht, was sie nicht tötet.

  3. Gute Analyse. Aber ist es die Opposition, die „überrissen“ hat und Guttenberg damit auf dem Ministerstuhl bleiben kann? Ist es nicht der Scharm des zu Guttenberg, der sich selbst in genau diese wehmütige, reue zeigende Position stellt?
    Die Opposition ist vollkommen auf Guttenbergs Taktik angesprungen. Sie hat drauf gehauen, statt nachzufragen. Sie hat ihn nicht selbst auflaufen lassen, sondern hat ihn bevormundet, was ihm Sympathien zu spielt, aber ist es nich vor allem sein Verdienst, einen solchen Hass (und Neid) auf sich zu vereinigen, dass er sich selbst in die Situation eines Ertappten einer Schulprüfung stellen konnte -während die Lehrer alle gegen ihn schimpfen?
    De Demut wird ihm nicht auferlegt, er erlegt sie sich selbst auf, um de Sympathien zu ernten.

  4. vielem in diesem Text kann ich zustimmen, aber bei den Rücktritten nicht ganz. Engholm ist zurück getreten aufgrund der Falschaussagen im direkten politischen Leben, insbesondere innerhalb der Barschel- Affäre.
    Im übrigen halte ich den farblosen Seiters für einen der besten Politiker, die in diesem Land tätig waren, weil sie eben nicht regierten, sondern das Land steuerten. Rudolf Seiters hat in vielen Eigenschaften das verkörpert, was manche sich auch bei vGuttenberg erhofft haben, nur ohne Scheinwerfer.

    Gruß

    Alex

  5. Das sind mal wieder sehr interessante Gedanken, gerade das Thema Demütigung kann einiges von dem erklären, was ich bisher völlig rätselhaft fand. Trotzdem bin ich überzeugt, dass dieses Mitleid, diese Solidarität der Gedemütigten nicht jedem passiert, sondern dass es dazu noch so etwas heldenhaft Strahlendes braucht und dass andere in so einer Situation völlig mitleidlos zum Abschuss freigegeben würden.
    Mich würde einmal brennend interessieren, was denn in seinen eigenen Worten ganz genau die Fehler sind, die er gemacht haben will und für die er sich zur Zeit ständig entschuldigt. Ich glaube eine Antwort könnte ernüchternd und entlarvend sein…

  6. Ja, die Menschen wollen nicht gedemütigt werden, aber wer ist es denn, der sie demütigt? Betrachten wir mal zu Guttenbergs politisch-publizistische Geburtsstunde. Ich behaupte, es war das gefeierte „Nein“ zu Opel. Dieses Nein war auch eine Demütigung. Eine Demütigung der Menschen, die bei Opel arbeiten. Diese Demütigung war möglich, war zelebrierbar, weil Opel eine Verlieremarke ist, die so ziemlich alles repräsentiert, was Deutsche an Deutschen nicht mögen. Dann legte einer, der ziemlich genau die unaufgeklärten Sehnsüchte der Deutschen repräsentiert, ein Veto ein. Ein populistisches Urteil im Namen des Volkes, und machte sich damit zur Adresse eben jener Sehnsüchte. Zu Guttenberg wurde zum Medium, zu einer Projektionsfläche der Hoffnungen – und zwar für allerlei Hoffnungen, nicht zuletzt der materiellen, anstrengungslosen Freiheit. Viele wären gerne zu Guttenberg: Haus, Frau, Kinder – und die Freiheit, nein zu sagen. Dass der Preis dafür, Demütigungen anderer waren, war da schon vergessen. (Und dass dem Verrat an Opel der Verrat an Oberst Klein, General Schneiderhan und Kapitän Schatz folgten spricht für sich).

    Nun wird klar, dass zu Guttenbergs Reputation auf Verrat gebaut ist. Wir haben ihn mit dem Finger in der Keksdose erwischt. Doch statt ihn sachlich zu befragen, wessen Finger das wohl sind, und wie sie da rein kommen, schreien die, die sich noch nie mit seinem Lebensentwurf anfreunden konnten, kreuzigt ihn – ohne Prozess, ohne Urteil, ohne Geständnis – und verurteilen die, die auf ihn hoffen, gleich mit. Kein Wunder also, dass sich hier eine Allianz der sich Schämenden bildet, denn die natürliche Reaktion auf Schuldgefühle ist Scham. Diese Schamallianz wird durch die hämischen Angriffe noch gestärkt. Zu Guttenbergs Gegner haben gezeigt, dass sie keinen Deut besser sind, als er. Eine verpasste politische Chance im immerwährenden Machtkampf, eine tolle Gelegenheit für uns, zu vermessen, wie wir unser Leben gestalten wollen. Eine Chance zu einem modernen Citoyen zu werden.

  7. Ein origineller Gedanke. Allerdings auch reichlich spitzfindig, und deshalb auch ziemlich an der Reaöität vorbei. Wo findet sich denn die breiteste Unterstützung für vG? Unter den Lesern der Bild! Und sind nicht diese Leser über Jahrzehnte darauf konditioniert worden, Lust zu empfinden an der Demütigung von Leuten. Trat denn ein ähnlicher Effekt ein, als man „Lügilanti“ anprangerte. Oder solidarisierte man sich mit „Florida-Rolf“? Nein, der Reflex der Bild-Zeitungsleser ist ein ganz anderer. Es wäre schon sehr „dialektisch“ gedacht, wenn man annehmen dürfte, die Leser würden die BILD nur kaufen, um unterschwellig Sympathiegefühle für die dort Angeprangerten und Erniedrigten zu empfinden.
    Bei zG wirken ganz andere Mechanismen. Es ist die Langlebigkeit des Idols Guttenberg. Wir Menschen machen uns Bilder von Personen. Es sind dies kognitive Konstrukte, die über eine längere Zeit stabilisiert werden. Was nicht in dieses Bild passt wird ausgeblendet. Es bedarf dann schon eines außergewöhnlichen Ereignisses, um dieses Bild erschüttern zu können. Für viele stellte die Promotionsaffäre ein solches außergewöhnliches Ereignis dar. Aber man musste es halt auch erkennen. Man musste sich wirklich die Mühe machen die Textstellen auf dem guttenplag wiki zu vergleichen. Dies unterscheidet die Intensivnutzer des Internet von den sonstigen Vürgern, die häufig nur oberflächlich informiert sind. Deshalb gab es auch einen signifikanten Unterschied zwischen den Bildlesern, und den Nutzern von bild-online.
    Bei vG greift schon eher ein Mechanismus, der sich damit vergleichen lässt, dass man ja auch dem Stürmer der eigenen Lieblingsmannschaft nicht wirklich übel nimmt, wenn er durch eine Schwalbe den entscheidenden Elfer rausholt. Auch hier erweist sich eine emotionale Verbindung als sehr langlebig.
    Was das Verhalten der Opposition anbelangt:
    Ihr bleibt gar keine andere Chance, als diese unglaubliche Verfehlung und Hochstapelei eins der hüchsten Repräsentanten unseres Staates entsprechend anzugreifen. Zumal noch hinzukommt, dass dieses verhalten von der Kanzlerin und der ganzen Fraktion geduldet und verteidigt wird. Wäre es wirklich eine Alternative gewesen, den Minister sanft zu schonen, um etwaige Mitleidsgefühle oder Solidarisierungsgefühle nicht aufkommen zu lassen. Das wäre absurd, denn sie würde Politik durch Psychospiele ersetzen, und auf lange Sicht nur mehr Politikverdrossenheit erzeugen. Nein, hier sitzt ein Hochstapler und Blender auf der Regierungsbank, und der hat dort überhaupt nichts zu suchen. Die Demütigung, die er erfährt hat er sich alein selbst zuzuschreiben, und ein zwingend notwendiger Rücktritt, könnte ihn wenigstens im Ansatz davon erlösen. Das Ergebnis der Wahl in Hamburg hat natürlich auch im wesentlichen gänzlich andere Ursachen!
    Aber ich verstehe ja, der gedanke an sich ist nicht völlig absurd, und wirkt bei manchen auch in der beschriebenen Weise. Und irgendwie muss man ja auch etwas originelles sagen, wenn sonst schon alles gesagt ist! Also nichts für ungut! 🙂

  8. Vielen Dank! Von wegen, niemand liest lange Texte im Internet …

    @Günter: Ich habe schon den Eindruck, ein großer Teil der Befriedigung beim Lesen der Bild-Zeitung (allerdings z.B. auch des Spiegel), ist die Freude an der Demütigung der anderen – der „Irgendwas-Trottel“ im Fall von Bild, der korrupten Provinzfürsten im Fall des Spiegel. Guttenbergs großes Plus ist, dass er es seit langem schafft, als eine Art strahlender Stellvertreter seines Volkes zu agieren. Er gehört dazu, während die meisten anderen Politiker als außenstehend, fremd oder gar als Gegner erscheinen, die „immer nur unser Geld wollen“ und „eh machen, was sie wollen“.

  9. Willst Du damit sagen, dass eine vom Volk losgelöste sich-selbst-erhaltende Machtelite seit Schröder damit begonnen hat, das Volk bewußt zu demütigen; und dass das jetzt eine Folge dieser Entwicklung ist? Ja und Nein haben interessante Implikationen. JA: Wir haben gar keine funktionierende Demokratie in Deutschland UND/ODER Verschwörung ist im Gange. NEIN: Das Volk leidet unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung und geißelt sich selbst, denn es ist schließlich S/s-ouverän.

  10. @BenZol: Nein, will ich nicht. Ich glaube, dass die Agenda in vielen Bereichen nicht funktioniert und eher das Gegenteil von dem erreicht hat, was sie sollte. Aber ich glaube nicht, dass das das bewusste Ziel war.

  11. @mikis: okay. Dann unterstellst Du also Politik und Bürgern komplette Unfähigkeit zu politischen Entscheidungen (die Zukunft betreffend)? Da stellt sich doch die Frage, warum wir nicht Würfeln, wenn das Unterbewusstsein uns immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen kann, ohne dass wir je etwas dagegen unternehmen könnten, weil wir ja bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben, oder etwa nicht?

  12. @BenZol: Nein, ich unterstelle, dass auch Politiker nicht die Fähigkeit haben, in die Zukunft zu schauen. Nur als Beispiel: Dass bis dato nicht als Tarifpartner aufgetretene Gewerkschaften plötzlich Tarifverträge abschließen und so die Regelungen zur Zeitarbeit unterlaufen, hat offensichtlich keiner der Beteiligten vorhergesehen. Jede Entscheidung basiert immer nur auf dem, was man als Folge vorhersieht. Da keiner von uns eine Kristallkugel hat heißt es, dass es keine Sicherheit geben kann, dass man damit immer richtig liegt. Deshalb müssen Politiker den Mut und die Weisheit finden, falsche Entscheidungen zu korrigieren und halbrichtige Entscheidungen nachzubessern.

  13. @mikis: Ich finde, Du argumentierst ausgewogen und besonnen. Lob!
    „Deshalb müssen Politiker den Mut und die Weisheit finden, falsche Entscheidungen zu korrigieren und halbrichtige Entscheidungen nachzubessern.“ Müssen: Ja – Sollten müssen können: Nein. Ich finde, ein politisches System, das eine solche Entscheidung vom „Mut“ und der „Weisheit“ seiner Politiker abhängig macht, ist ein fehlerhaftes System. Denn dann passiert genau das, was jetzt passiert ist. So ein System müsste Mut und Weisheit von Politikern zur Bedingung machen. Das ist nicht möglich sondern hängt vom flexiblen/beeinflussbaren gesellschaftl. Konsens ab. Also, wenn wir uns auf die Moral nicht verlassen können, müssen wir ein System erschaffen, das moralisch richtige Entscheidungen bevorzugt, ohne dass ein Akteur diese Merkmale zwingend tragen muss. Aber das würde hier im Kommentarbereich nun wirklich zu weit führen. Danke für den Diskurs.

  14. Schön. Aber heißt das also, dass ein Politiker, der nicht zurücktreten will, schlicht nicht zurücktritt, egal, was er verbrochen hat?

  15. Dann noch mal anders: Du sagst, dass man bei einer politischen Entscheidung nicht alle zukünftigen Effekte vorhersehen kann. Das sei aber nicht tragisch, wenn „Politiker den Mut und die Weisheit finden, falsche Entscheidungen zu korrigieren und halbrichtige Entscheidungen nachzubessern.“ D.h. tragisch wird es, wenn Politiker >nichtKontrolle< darüber hat, welche Entscheidung getroffen wird.

  16. Oh, jetzt ist mein Kommentar abgeschnitten worden. Lange Rede kurzer Sinn: Vertrauen in die moralische Integrität ist gut. Besser wäre es für das Volk jedoch, die Kontrolle darüber zu besitzen und Entscheidungen auch bewerten zu dürfen, ohne gleich einen neuen Kredit in die Zukunft aufnehmen zu müssen (s. Wahl).

  17. @Hanno: Erstaunliche Schlussfolgerung. Warum heißt es das?

    @BenZol: Das hieße hundertprozentige direkte Demokratie, oder? Ich persönlich glaube, dass sich repräsentative und direkte Demokratie ergänzen müssen, weil beide Systeme ihre Vor- und Nachteile und Fallstricke haben. Ich möchte weder eine totale Herrschaft der Mehrheit, weil sie aus meiner Sicht die Gefahr birgt, dass Minderheiten unterdrückt werden (und weil ich außerdem glaube, dass 99 Prozent der politischen Entscheidungen für die Gesamtbevölkerung derart langweilig sind, dass es richtig ist, sie an Leute zu übergeben, die da tatsächlich eine Erfüllung drin finden – aber das ist ein Nebenaspekt …), aber wir haben im Sommer im Zuge des Bürgerbegehrens gegen die Schulreform in Hamburg erlebt, dass parlamentarische Beratungen auch Ergebnisse liefern können, die offensichtlich dem Wunsch der Mehrheit der Bürger zuwiderlaufen, und dann ist es richtig, wenn die Bevölkerung scharfe Werkzeuge zur Verfügung hat, solche Entscheidungen zu kippen.

    Aber, auch das ist richtig: Ein Kredit auf die Zukunft ist jede Entscheidung, egal, ob ich sie höchstpersönlich treffe oder von einem gewählten Vertreter treffen lasse.

  18. Günter: vielen Dank, eine treffende Analyse.

    Dieses Nicht-Wahrhaben-Wollen, was die tatsächlichen Leistungen des KTzG betrifft, ist schon bemerkenswert. Überall liest man noch, er habe doch verhindert, dass Millionen Staasgelder für Opel zum Fenster hinausgeworfen wurden.

    [Ich denke auch, dass die Mehrheit der Deutschen einfach nicht kapiert, was ein Plagiat statt Doktorarbeit wirklich bedeutet. Da hat sich in den Köpfen etwas festgesetzt („halb so wild“)].

    Irgendwie erinnert mich das alles an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Damals reichte es, wenn ein Kind die nackte Wahrheit aussprach. Heute braucht man offenbar Dauerbeschallung.

    Würde er wegen Verletzung des Urheberrechts verknackt, wäre der Drops gelutscht. Aber dass ein bayrischer Staatsanwalt… nee, nicht wirklich realistisch, diese Annahme.

  19. Wer immer noch nicht verstanden hat, dass es in Deutschland (wie auch überall in Europa) keine ECHTE Demokratie gibt und keine FREIEN Medien, dem ist leider nicht mehr zu helfen!

    Das Land wird von einer handvoll Familien regiert. Die wichtigsten Familien sind Springer und Mohn.

    Frau Mohn ist wie Guttenberg Mitglied im Aufsichtsrat der Röhn-Kliniken (wikipedia).

    Dass das Damenkränzchen Merkel, Mohn und Springer sich öfters auf einen Kaffee trifft ist auch ein offenes Geheimnis.

    Wer Familie Mohn ist?!

    http://www.bertelsmannkritik.de

    ALLES lesen! Verstehen und staunen. Und eventuell auch zur Abwechslung mal AUFWACHEN!

    Ist es ein Zufall, dass eine Sparte des Konzerns sich auf Dienstleistungen für’s Militär spezialisiert hat und Guttenberg Kriegsminister wird?!?!!? Mannnnnnnnn!!!!!

    P.S.:
    Die „Gänsefüßchenaffäre“ ist dagegen einfach nur ein Witz!

    Lest auch mal etwas über die Transatlantikbrücke und die Verpflechtungen zur Bertelsmannkonzern.

    Guckt Euch auch mal an, wofür der werte Professor steht, für den die Familie Guttenberg einen Lehrstuhl gestiftet hat.

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/577008/

    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13249

    P.P.S:
    Ss schmerzt mich förmlich zu sehen, wie soooo viele „Intellektuelle“ in Deutschland im fast schon komatösen Tiefschlaf liegen!

  20. Eine sehr gute Analyse der überzogenen Angriffe aus der Opposition und ihrer Wirkung. Guttenberg-Verteidiger wie Dobrindt haben genau auf diese Anti-Demütigungshaltung beim Publikum gezielt.
    Man kann das aber natürlich nicht verallgemeinern. Westerwelle wurde ein Jahr lang aus einer bestimmten Ecke ständig abgewatscht. Es gehörte quasi zum guten Ton, abfällig und demütigend über den Außenminister zu reden. Trotzdem steht er in der Beleibtheitsskala genau am anderen Ende wie Guttenberg.
    Im Übrigen hätte Guttenberg eine sehr gute Chance gehabt, im Amt zu bleiben: Wenn er selbst demütiger mit seinem Fehler umgegangen wäre. Also wenn er nicht die fränkische Wettertanne markiert und mit der Bundespressekonferenz Katz und Maus gespielt, sondern ungefähr gesagt hätte: „Ich habe einen Fehler gemacht. Es ist mir peinlich. Ich verzichte auf meinen Doktortitel und entschuldige mich bei allen, von denen ich abgeschrieben und die ich bloßgestellt habe. Das werde ich auch persönlich tun. An Frau Zehnpfennig habe ich schon einen Brief geschrieben und mit meinem Doktorvater telefoniert. Mein Fehler hat mit meinem jetzigen Amt nichts zu tun, denn ich habe ihn gemacht, bevor ich Minister wurde. Deswegen werde ich mich jetzt bemühen, durch eine besonders gute und gewissenhafte Amtführung als Verteidigungsminister dieses Fehlverhalten vergessen zu machen, auch wenn ich weiß, dass das nie ganz gelingen wird.“ So etwas womöglich noch in einer Pressekonferenz und nicht nur in einer abgelesenen Erklärung ohne Nachfragen, das hätte ihm auch bei den Journalisten Respekt eingetragen.
    In diesem Fall hätte sich Guttenberg selbst gedemütigt anstatt von anderen gedemütigt zu werden und damit seine Würde behalten. Hochtrabende Angriffe hätten dann tatsächlich wie solche ausgesehen und quasi jedermann hätte das gespürt. So aber haben wir gelernt, dass auch Guttenberg nur ein gewöhnlicher Politiker ist.

  21. „Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten.“

    Arthur C. Clarke

    Ob Politiker oder Theologen die dümmsten Menschen der Welt sind, ist eine müßige Frage. Sicher ist, dass für beide Berufsgruppen nur solange eine Nachfrage besteht, wie das arbeitende Volk daran glaubt, die Vertreibung aus dem Paradies müsse ein einmaliges Ereignis vor langer Zeit gewesen sein. Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert:

    http://www.deweles.de/willkommen.html

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