Die WELT hat eine Lösung für die Schuldenkrise: Lasst arme Schulen pleite gehen!

In der Welt geißelt heute eine Stellvertretende Chefredakteurin die Tatsache, dass es auf der ganzen Welt reiche Menschen gibt, die eine Reichensteuer fordern, obwohl sie die ja selbst bezahlen müssten. Nachdem sie diese Tatsache kolportiert hat („Wir leben wahrlich in ungewöhnlichen Zeiten“) steigt die Autorin steilst in ihre These ein.

Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz oder einer Vermögensteuer kommen gemeinhin von der politischen Linken. Dass viele Linke die Wirkkraft „des Kapitals“, wie sie denunziatorisch Unternehmen nennen, für Wohlstand und Vorankommen unserer Volkswirtschaften verkennen, ist so traurig wie wahr.

Natürlich ist es nur ein rhetorischer Kniff, seine eigene Ausführung mal eben als wahr zu kennzeichnen, aber es hülfe der Aussage nichtsdestotrotz, wenn sie stimmte. Aber was für ein Blödsinn ist denn das?

Wer nennt ein Unternehmen denunziatorisch „Kapital“? In keiner einzigen Theorie oder Lehre der Welt werden Unternehmen als Kapital bezeichnet. Kapital ist in der Volkswirtschaftslehre ein Produktionsfaktor und bezeichnet bei Marx Geld, dass nur zur Profitgewinnung eingesetzt wird. Das Unternehmen an sich ist für die Linken im Gegenteil eine so tolle Sache, dass sie finden, möglichst alle sollten welche haben. Aber das ist nebensächlich.

Das Lustigste an dieser Passage ist nämlich die Bräsigkeit, mit der die Tatsache, dass die Forderung nach einer Reichen- oder Vermögenssteuer im beschriebenen Fall überall auf der Welt keineswegs von „Linken“ gefordert wird, zur Seite gewischt wird, weil es die Meinung der Autorin verlangt, auf Linke einzuschlagen. Wenn Reiche tatsächlich fänden, der Staat habe gerade ganz einfach zu wenig Geld, dann würde das ihr Weltbild zerstören. Also darf es nicht sein. Sie schlägt einfach dahin, wo sie offenbar immer hinschlägt. Das ist schon kein rhetorischer Kniff mehr, das ist der Versuch, eine Olympische Goldmedaille für sich zu reklamieren, weil man schließlich viel schneller gelaufen wäre, nur ganz woanders und leider ohne Zeugen. Aber echt wahr.

Ihre notorische Forderung nach Reichensteuern dient daher nicht der vielgepriesenen Gerechtigkeit, denn die läge in einer Befreiung der Mitte aus der kalten Progression. Nein, mit dem Dauergebet von der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich wird nur ein Ressentiment bedient und Neid gegen „die Reichen“ geschürt.

Ähm, ja? Mit dem „Dauergebet“ von der wachsenden Schere wird nicht die wachsende Schere kritisiert sondern nur der Neid geschürt? Also der Neid, der nicht dadurch entsteht, dass Reiche überall auf der Welt in so extremer Weise immer reicher werden, dass einige von ihnen selbst fordern, man solle sie gefälligst höher besteuern? Die wachsende Schere ist ein nachgewiesener Fakt, aber manche Meinungen mögen nicht von Tatsachen behindert werden. Aber wir reden ja hier sowieso schon anlassfrei über Linke, deshalb unterfüttern wir die Argumentation auch lieber faktenfrei.

Dass einzelne Unternehmer mehr Steuern zahlen wollten, sei ein bemerkenswertes Signal, fällt der Autorin auch auf, und sie möchte ihnen den Spaß auch gar nicht nehmen.

Wenn Reiche mehr für ihre Gesellschaft tun wollen, sollten sie spenden und stiften, wie dies die großen amerikanischen Unternehmer von Carnegie bis Gates immer taten. Niemals hätten sie dem Staat Aufgaben überlassen, die doch tief im Bürgersinn verankert und in Kommunen und Städten gut aufgehoben sind.

Abgesehen davon, dass Kommunen und Städte Teil unseres gemeinsamen Staates sind: Meint die Autorin tatsächlich, man solle letztlich die Qualität von Schulen davon abhängig machen, ob sich ein großzügiger Spender für sie findet? Ähm, ja, ganz genau.

Niemand hindert Otto oder Westernhagen, ihr Geld für die Sanierung von Schulen zu spenden oder andere Projekte zu fördern, die dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen. Der Staat aber muss endlich schlanker werden. Mitleid hat er nicht verdient.

Das ist so bizarr, dass man ein irres Kichern hinter den Zeilen zu hören glaubt. Wenn Herr Otto (der Versandunternehmer) oder Herr Müller-Westernhagen, die als Reiche eine Reichensteuer fordern, nun gerade die Schule meiner Tochter nicht bedenken, soll diese nicht saniert werden, um dem Staat eine Lehre zu erteilen? Und mir vielleicht auch, weil ich nicht reich bin? Immerhin gehöre ich wahrscheinlich zu der Mittelschicht, der die Welt-Vize-Chefredakteurin die Steuern gesenkt sehen will, insofern ist sie wahrscheinlich im Gegenteil dafür, dass die Schule meiner Tochter noch weniger Geld bekommt. Da soll der Staat doch mal sehen, was er davon hat! Selbst schuld!

Abgesehen davon, dass der Text historische, politische und logische Schwächen hat, zeigt er doch zumindest, dass die Autorin eine Meinung hat. Aber wenn es ihre eigene ist, warum versteht sie sie dann nicht?

Es ist ja nicht so, dass irgendjemand die Meinung vertreten würde, „der Staat“ solle Geld verprassen. Niemand will das. Natürlich muss jeder Staat seine Steuereinnahmen effizient einsetzen, und natürlich kann man ewig darüber streiten, ob er es tut und dass er es regelmäßig an vielen Stellen nicht tut. Aber genau das macht die Autorin ja nicht. Was wäre denn sinnvoller eingesetztes Steuergeld als die Sanierung einer Schule? In unserer kompletten Debatte um die Zukunft Deutschlands, die Wirtschaft, Integration, was auch immer – die zentrale Forderung ist immer: bessere Bildung. Das ist keine linke Position, das ist das Mantra quer durch die gesamte Republik. Zu recht. Und genau das sollen wir dem Goodwill von Reichen überlassen? Das ist der Punkt, an dem die Autorin findet, wir hätten zu viel Staat?

Der Staat hätte bewiesen, dass er schlecht haushaltet und die Politik suche nur Sündenböcke für die Schuldenkrise, die sie selbst verursacht habe, geht der Kern der Argumentation. Das Zweite ist zumindest insoweit Quatsch, als man alle Bankenrettungsschirme aus allen Staatsschulden herausrechnen müsste, um ein Bild von der Schuld der Politik zu haben, und dann sähe die Welt anders aus (die Welt wahrscheinlich nicht). Aber selbst wenn man das als Meinung gelten lassen wollte, ist dann die Antwort, Schulen verfallen zu lassen, damit Reiche nicht mehr Steuern zahlen müssen – und gleichzeitig einfach nicht mehr darüber zu reden, dass die Reichen immer reicher werden, um keinen Neid zu wecken?

Ich sehe meine Tochter schon nachhause kommen und mit großen Augen erzählen: „Papa, ich habe durch den Zaun gesehen, an der Roland-Berger-Gesamtschule regnet es gar nicht rein und alle Fenster haben Scheiben!“ Ich sag ihr dann: „Nicht neidisch sein, das ist, weil ein guter reicher Mensch ihnen hilft. Und wenn wir ganz lieb sind, dann hilft uns sicher auch irgendwann einer. Reiche sind so!“

Das muss eine ganz biestige Sache sein, diese „viel gepriesene Gerechtigkeit“. Ist die ansteckend?

13 Antworten auf „Die WELT hat eine Lösung für die Schuldenkrise: Lasst arme Schulen pleite gehen!“

  1. Warum sind gewählte „Spitzenpolitiker“ – egal welcher sinnfreien politischen Ideologie – und vorgebliche „Wirtschaftsexperten“ unfähig, die „Finanzkrise“ (korrekt: beginnende globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes) zu beenden? Weil sie – unabhängig von „Glaube“ oder „Unglaube“ – in besonderem Maße von einer künstlichen Programmierung des kollektiv Unbewussten betroffen sind, die es der halbwegs zivilisierten Menschheit seit jeher unmöglich macht, zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus zu unterscheiden – die Grundvoraussetzung des Denkens, sofern es das zivilisierte Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft:

    http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/08/die-7-plagen.html

  2. „Der Staat muss endlich schlanker werden.“ *kreisch*

    Diesen Artikel mit so einem Satz zu beginnen, ist schon bezeichnend.
    Die hören nicht eher auf, bis selbst der Reichstag in eine GmbH umgewandelt wurde.

  3. Andrea Seibel ist eine Ex-Linke, war früher bei der taz. Solche Wendekonservative wie sie sind im allgemeinen die widerwärtigsten von allen.

  4. Wow. Zu dieser Autorin fällt mir nur noch eines ein:
    „Meine Meinung steht fest. Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!“

  5. @freiwild: Wäre es Ihnen möglich, sich mit Argumenten zu befassen, anstatt Menschen mit anderer Meinung persönlich zu beleidigen?

  6. @Christian Benduhn

    Ich kenne zwar freiwild nicht (vielleicht weiß es ja mehr als ich), aber wenn Sie mir die Frage gestellt hätten:
    Es wäre wohl möglich, wenn welche vorlägen.

  7. Ich habe den Eindruck, dass die Welt-Autorin reiche Steuerfreunde im Grunde für Linke hält, aber es nicht schafft, sie so zu nennen, weil das ihre Vorstellungskraft übersteigt. Dass Wohlhabende freiwillig höhere Steuern zahlen, wäre in Frau Seibels Welt wohl nur denkbar, wenn alle Finanzämter privatisiert sind.

  8. Ob die Seibels dieser Welt irgendwann auch zu Kenntnis nehmen werden, dass dieser verschlankende Staat seit 2 Jahrzehnten kontinuierlich verschlankt wird und bald Gefahr läuft, ein magersüchtiger Staat zu werden ? Nein, wahrscheinlich nicht. Lieber ein Staat, der seine Aufgaben gar nicht mehr erfüllen kann, als dass bei Springer mehr Steuern gezahlt werden müssen.

    Ich hatte übrigens unter besagten Artikel auch einen Kommentar versucht, drunter zu setzen, der aber nicht freigeschaltet wurde und das sicher nicht, weil ich irgendjemanden beleidigt hätte. Allerdings hatte ich das bereits fast erwartet. Springer hat sich dahingehend bereits einen gewissen Ruf erarbeitet, allzu unagenehme Beiträge nicht freizuschalten, bzw. zu löschen. Eine Untugend, die sie allerdings auch mit einigen ihrer Konkurrenten (die WAZ z.B.) teilen.

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