Wie wird man eigentlich „Journalist“?

Weil Hetze nicht schlecht wird, wenn man sie ein paar Monate nicht benutzt, hat Bild.de heute noch einmal den Artikel ausgepackt, in dem sie darauf hinweist, dass sie in Bezug auf Griechenland schon immer Recht hatte (Anlass dafür, auf alte Artikel wie den mit der Headline „Griechen streiten und streiken, statt zu sparen!“ (BILD, 25. Februar 2010) hinzuweisen ist lustigerweise offenbar die spätestens seit gestern durch die Troika-Prüfungen belegte Tatsache, dass Griechenland zu viel spart).

Allerdings hat Bild.de einen zumindest für mich neuen Aspekt zu der Geschichte hinzugefügt: Kritik an Bild. In einer kleinen Klickgalerie zitiert Bild tatsächlich Experten, die die Kampagne der Bild kritisiert hatten! Oh, Moment, Experten? Nein: „Experten“. In Anführungsstrichen. „So wurde Bild von „Experten“ kritisiert“, heißt der Kasten. Und die Anführungsstriche sind, wie früher bei „DDR“, offenbar gedacht, um „so genannte“ zu insinuieren. Es handelt sich nach Ansicht von Bild bei Menschen wie dem Wirtschaftsminister Thüringens, Roland Koch und Sigmar Gabriel nicht um Experten, sondern nur um so genannte. Was besonders wundert bei Professor Doktor Peter Bofinger, einem der fünf Wirtschaftsweisen: Noch am 15. August nannte Bild selbst den so genannten „Experten“ nämlich einen „führenden Wirtschaftswissenschaftler Deutschlands“ – ohne Anführungsstriche natürlich.

Womit sich die Frage aufdrängt: Wird man eigentlich als „Journalist“ geboren, oder muss man sich den Hang dazu, die Welt auch mal als irgendetwas außerhalb des eigenen Kopfes zu betrachten, erst mühsam abtrainieren?

11 Antworten auf „Wie wird man eigentlich „Journalist“?“

  1. Globale Liquiditätsfalle

    Sicher ist, dass die Weltwirtschaft insgesamt wieder anfangen wird zu schrumpfen, dass der Schrumpfungsprozess schneller ablaufen wird als 2009, und dass die hohe Politik keine Möglichkeit mehr hat, den Prozess zu verlangsamen oder gar aufzuhalten:

    http://www.swupload.com//data/Boerse110903.pdf

    Es gibt keinen „sicheren Hafen“ mehr für die Anleger, denn auch die Staatsanleihen gelten nicht mehr als sicher! Weitere staatliche „Konjunkturpakete“ sind nicht mehr zu finanzieren, es kommt zu Bank-Runs, Massenentlassungen, allgemeiner Hoffnungslosigkeit, einem fortschreitenden Zusammenbruch der globalen Arbeitsteilung in rasendem Tempo, während die hohe Politik bis zur totalen Handlungsunfähigkeit gelähmt wird.

    Das erscheint zunächst als ein negativer Ausblick, der jedoch positiv zu werten ist, denn der endgültige Zusammenbruch des noch bestehenden, kapitalistischen Systems ist die Voraussetzung dafür, dass der Glaube an dieses System verloren geht und die Religion (selektive geistige Blindheit gegenüber makroökonomischen Konstruktionsfehlern) überwunden werden kann:

    http://www.deweles.de/willkommen.html

  2. Komisch: Ich habe noch nie von einem Journalisten gehört, dass er sich selber als „Journalisten“ bezeichnet.
    „Journalisten“, das sind immer andere.

  3. @Christian Benduhn Das trifft übrigens auch auf Experten, Handwerker, Kommentatoren, Konservative, Blogger, Putzfrauen et al zu. Ist das auch komisch?

  4. Schön, dass Griechenland „zu viel“ spart. Dann können sie ja mit ihren neuen Überschüssen Rechnungen begleichen und brauchen keine weiteren Hilfen. Das ging dann doch schneller als gedacht. Immer gut, wenn Journalisten auch mal erfreuliche „Tatsachen“ vermelden können.

  5. Eine große deutsche Tageszeitung schreibt heute auf Seite 1:
    „Empörung über mangelnden Sparwillen Athens“
    „Erste Euro-Staaten erwägen, Griechenland bankrottgehen zu lassen „

  6. @Christian Benduhn: Ja, das mit „Tatsachen“ und „Experten“ hat keine große Konjunktur. Das Sparprogramm in Griechenland ist unbestritten das größte, das je eine Industrienation in Krisenzeiten gestemmt hat, und diese Einlassungen sprechen entweder von gezielter Desinformation oder einem Mangel an grundlegendstem Verständnis für Zusammenhänge.

    Spannend dabei wie immer die Wirtschaftsnobelpreisträger, die sich fragen, warum sie eigentlich niemand fragt. Stellvertretend Paul Krugman wie er den deutschen Finanzminister zerlegt: http://krugman.blogs.nytimes.com/2011/09/05/the-beatings-must-continue/

  7. Das Problem ist doch nicht, ob Griechenland ein Sparprogramm beschließt. Das hat das Parlament längst getan. Und neue, härtere Sparbeschlüsse verlangt auch niemand.
    Die Frage ist, ob und wie das Sparprogramm umgesetzt wird. Ein Parlament kann viel beschließen, ausführen müssen es die Ministerien und Behörden. Und wenn die sich in der einen oder anderen Sache querlegen, steht die Parlamentsmehrheit mit ihrem Beschluss ziemlich nackt da. Auf so etwas achten Geldgeber nun mal.

  8. @royse: das ist im Prinzip natürlich richtig, aber dass die Wirtschaft in Griechenland (im Verhältnis zu der ja teilweise die Sparziele in Prozent des BIP festgeschrieben sind) stärker schrumpft als angenommen, ist eine Folge des Programmes. Das wurde ja auch vorhergesehen, nur eben nicht von Schäuble oder der Troika. Darauf zu beharren, einen falsch eingeschlagenen Weg noch beim erreichen des Endes der Sackgasse mit mehr Nachdruck zu gehen (und wer an der bisherigen Entschlossenheit zweifelt, kann ja malnin Athen gucken, wo die Bevölkerung unter hier unvorstellbaren Kürzungen leidet), spricht zumindest nicht für Klugheit. Dieser Kurs ist falsch und gefährlich und kann keine Lösung bringen. Unabhängig davon muss allerdings diengriechische Regierung jede gemachte Zusage einhalten, daran gibt es kein Rütteln. Eine Lösung wird das nicht bringen, aber hoffentlich Zeit gewinnen für europäische Programme, die weiter tragen als nur bis zum nächsten Ministertreffen.

  9. @mikis Stimmt genau. Hierzulande tun Politiker und Journalisten aber leider so, als ob die Einhaltung der Athener Sparversprechen allein ein Problem Griechenlands wäre. Nach dem Motto: Ob der Kurs, zu dem wir Euch gedrängt haben, falsch ist, interessiert uns nicht. Aber wenn Ihr ihn nicht einhaltet, bekommt ihr kein Geld.
    Das ist eine rein deutsche Sicht, die den eigenen Tellerrand für die Grenze des Universums hält.

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