Wired: Wo sind bloß diese ganzen Geeks?

Ich weiß, dass die wichtigen Sachen zur eben erschienenen deutschen Ausgabe von Wired schon gesagt sind, aber ich habe Lust, mich mal wieder um das Thema zu kümmern, für das dieser Blog mal gegründet wurde (und, ja, ich sage „der Blog“). Um Printprodukte und ihre Gegenwart.

Ich bin wahrscheinlich ein bisschen voreingenommen. Ich hätte erstens gerne an einer deutschen Wired mitgearbeitet, und zweitens ging mir Thomas Knüwer, der Chefredakteur, immer wenn ich etwas in seinem Blog „Indiskretion Ehrensache“ gelesen habe, mit seiner Überheblichkeit auf die Nerven. Aber ich glaube, es ist nicht so schlimm, dass ich meine Emotionen da nicht beherrschen kann. Und ich bin grundsätzlich tief drinnen ganz angetan von dem Mut von Moritz von Laffert, mit der Konzeption einer deutschen Wired jemanden zu betrauen, der noch nie ein Magazin gemacht hat. Es ist ja nicht so, dass die Erfahrung bei allen anderen pausenlos nur Erfolge hervorbringt. Insofern ist das ein Weg, der sich lohnen könnte – ich bin immer für mehr Experimente.

Und die neue Wired ist erstens mal erschienen, was gar nicht so selbstverständlich ist, wie es sein sollte, und sieht zweitens auf den ersten Blick mehr als nur ordentlich aus. Ich verstehe das Cover nicht, weder die Titelzeile noch die Illustration, aber ich finde sie erstens hübsch und zweitens ist dieses Heft zunächst mal gar nicht für den Kioskverkauf vorgesehen, sondern eine Beigabe zu GQ, insofern darf man da Markenbildung über Verkäuflichkeit stellen. Als Verkäufer hielte ich den Titel für einen Stinker, aber dazu kommen wir noch.

Beim ersten Blättern fallen mir – neben der guten Gestaltung – zwei Dinge negativ auf: Das Heft hat wenig Rhythmus, zu viele kleine Geschichten und letztlich keine große Geschichte, die bei mir hängenbleibt. Und, als eindeutiges Mitglied der Zielgruppe, wenn dazu die Tatsache reicht, dass ich regelmäßiger Leser der US-Ausgabe bin, finde ich auf den redaktionellen Seiten kein einziges Produkt, das ich kaufen wollen würde. Da bin ich billig zu haben: Ich mag die Seiten mit Ferngläsern, Kameras oder Lautsprecherboxen. Ich mag Technik, die ich benutzen kann. Aber die deutsche Wired nutzt den Raum, den sie dafür hat, für Produkte wie eine Wasserpfeife für 1300 Euro oder den üblichen Roboter-Staubsaugertest, den ich seit acht Jahren irgendwann in jedem Magazin mal gesehen habe, obwohl ich immer noch keinen Menschen kenne, der so ein Ding je gekauft hat.

Das ist nicht so uneingeschränkt schlecht, wie es klingt. Ich suche beim Lesen wie beim Entwickeln von Zeitschriften nach Charakter, und Charakter wahrscheinlich am ehesten in der Bedeutung des Wortes wie bei einem Charakter in einer Fernsehserie. Da wahrscheinlich keine einzige Information in einem Magazin exklusiv ist, geht es bei Zeitschriften ausschließlich um die Weltsicht, und die wird neben der textlichen und gestalterischen Aufmachung auch durch die Themenauswahl bestimmt (zur Analogie: man guckt Fernsehserien auch nicht wegen der Geschichten, sondern wegen der Charaktere. Ob bei Doktor House ein Krebs oder ein Bruch behandelt wird ist nebensächlich neben der Frage, wie er behandelt).

Jedenfalls: Die Auswahl der Produkte und vieler Themen habe ich nicht verstanden, in dem Sinne, als sie mir kein Bild vom Charakter der Zeitschrift gegeben haben, das mich angesprochen hat.

Sehr viel wert wird dann beim zweiten Lesen auf die Entwicklung einer expliziten Weltsicht gelegt. Das zeigt sich am offensivsten in der Titelgeschichte über „Geeks“. Offenbar herrscht in der Redaktion oder zumindest bei ihrem Chefredakteur die Meinung vor, erstens einmal wäre „Geeks“ der positive Ausdruck für „Nerds“ (was mir nicht klar war – ist es eigentlich immer noch nicht), und zweitens wären Nerds in Deutschland irgendwie unterbewertet. Er macht das daran fest, dass die Süddeutsche Zeitung nicht regelmäßig über Geeks schreibt, was ich für ein komisches System halte. Die Süddeutsche Zeitung schreibt auch wenig über Spackos, obwohl sie in meinem Leben extrem präsent sind. Ich habe oft den Eindruck, ich wäre von Spackos umgeben. Ich nehme der Süddeutschen aber nicht wirklich übel, dass sie praktisch nie über Spackos schreibt, weil ich diesen im allgemeinen Sprachgebrauch unüblichen Begriff sehr eigenwillig benutze, und ich habe den Eindruck, mit Knüwer und den Geeks ist es ähnlich.

Allerdings könnte man den Begriff Geek, wie Knüwer ihn benutzt, aus meiner Sicht ziemlich genau mit dem in Deutschland gefeierten Begriff „Tüftler“ synonym benutzen, und dann bricht die komplette These der Titelgeschichte zusammen. Kurz: Ich halte die komplette These für Unfug, was auch daran liegt, dass sie abenteuerlich belegt ist.

Knüwer schreibt, es wäre merkwürdig, dass Geeks keine Rolle spielen, wo doch Geeks wie Gutenberg und Carl Benz das Land groß gemacht hätten. Allerdings bestreitet niemand deren Leistung, es nennt sie nur niemand Geeks (aber ich schlage im Zuge der ausdrücklich eingeforderten Leserbeteiligung vor, sich mal mit dem Skandal zu beschäftigen, dass verschwiegen wird, dass Hitler der Spacko das Land mal komplett ruiniert hat. Das muss man doch mal aufschreiben!).

Gleichzeitig stellt Knüwer fest, dass „die Politiker“ und irgendwie auch alle anderen das Land kaputt machen, weil sie Geeks nicht fördern. Geeks sind dabei Menschen wie Gutenberg, Benz und eine junge Frau, die tolle Schokolade macht, die Politiker und der Spiegel unterdrücken sie aber, indem sie das Internet gefährlich finden und immer nur regulieren wollen. Nochmal zum Mitdenken:

[Geeks] gründen Fotografie-Startups oder entwickeln neue Produktionsmethoden für ethisch korrekte Schokolade.
Anerkennung und Respekt ernten sie dafür wenig – im Gegenteil. Sie werden zu Außenseitern erklärt. Zu Nerds. Freaks. Zu Parias. Zum Beispiel vom „Spiegel“: „Macht das Internet doof?“; „Netz ohne Gesetz“; „Die Unersättlichen – Milliardengeschäfte mit privaten Daten“ – alles Schlagzeilen seit 2008″

Wenn das wahr ist, dann ist es mir komplett entgangen. Werden Schokoladen-Tüftler zu Parias gemacht? Ich habe aber den Eindruck, dass da Dinge miteinander vermischt werden, um irgendetwas zu belegen, von dem der Wired-Chefredakteur denkt, es wäre so – das sich aber nicht belegen lässt. Knüwer leitet daraus dann allerdings her, dass es eine Angst der Eliten vor dem Netz gibt, die ja immerhin gesehen haben, wie man mit dem Netz in Nordafrika Diktatoren stürzt – was ich dann auch wieder in jeder Hinsicht für Quatsch halte. Aber wie dem auch sei, die Geschichte geht in etwa so: Die deutschen Eliten verspielen aus Angst davor, ihr Verhalten zu ändern, die Zukunft des Standortes Deutschland. Andere machen das teilweise besser. Und das sind Geeks.

Ein Geek für Deutschland – das wäre eine Idee. Oder auch mehrere. Viele. Geeks haben das Fachwissen, das in der Politik fehlt und oft auch in der Wirtschaft.

Es gibt also irgendwo eine Horde von ganz tollen Typen, die alles nötige Fachwissen haben, damit bisher aber weder in der Wirtschaft arbeiten noch in der Wissenschaft, wo Politiker ihre Experten rekrutieren. Das ist aus meiner Sicht eine so abenteuerlich jenseits der Realität angesiedelte Vorstellung von der Welt, dass ich nicht einmal weiß, wie man darauf antworten soll. Ich würde nur diesen Keller gerne sehen, in dem die Geeks angeblich aufbewahrt werden. Positiv festhalten lässt sich, dass hier das Programm der deutschen Wired in seiner Essenz aufgeführt wird, denn genau so geht es weiter: Die da oben haben keine Ahnung, und wir sind das Organ derjenigen, die es besser wissen.

Da wird ein Wirtschaftsjournalist vorgestellt, weil er offenbar Wirtschaftsjournalismus macht, und sich „mit Star-Ökonomen anlegt“ (gemeint mit „Star-Ökonom“ ist, knihihi, Hans-Werner Sinn).

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der irgendwas zum Thema Cyberwar macht, und sich dabei „mit Generälen und Politikern“ – na? Genau: anlegt (übrigens damit das Militär nicht so viel das Internet benutzt, das ist zu unsicher).

Dann kriegt es angeblich keiner in Deutschland mit, dass Berlin zu einem tollen Startup-Standort geworden ist. Badoo ist ein Social-Network-Phänomen „aber keiner redet drüber“. Computerspiele sind das „Medium von morgen“, aber Spiele sehen aus wie Hollywoodfilme von gestern.

Das sind alles nur Zitate aus den Vorspännen von Geschichten, in den Geschichten selbst geht es aber dann genau so weiter: Wenn ich den Charakter der deutschen Wired beschreiben sollte, würde ich sagen, sie leidet daran, dass sie glaubt, alles besser zu wissen als alle anderen. Wenn doch endlich jemand auf sie hören würde!

Die Frage, die sich aus Verlagssicht dazu stellt, ist ob es genug Menschen gibt, die die Welt genauso sehen. Die Verschwörungstheoretiker in den Kommentarspalten der deutschen Nachrichtenangebote sprächen dafür, dass es so ist. Das Gefühl, alles besser zu wissen und „die Politik“ dafür zu verachten, wie wenig Ahnung sie angeblich hat, sorgt – inhaltlich allerdings auf einem höheren Niveau – ja auch für die großartige Auflage des Spiegel. Dass ich das Konzept persönlich nicht mag, heißt nicht, dass es nicht funktionieren kann.

Aber ich finde es langweilig.

20 Antworten auf „Wired: Wo sind bloß diese ganzen Geeks?“

  1. Wenn ich den Charakter dieser Kritik beschreiben sollte, würde ich sagen, sie leidet daran, dass sie glaubt, alles besser zu wissen als alle anderen.

  2. @ Sascha:
    Gabriele Fischer wird bei der brandeins noch gebraucht. Wie wär’s mit der Technology Review? Da schreiben auch ein paar brandeins-Autoren über Technik. (Disclaimer: das war auch ein bisschen Eigenwerbung)

  3. also ich bin die Zielgruppe für den „üblichen Roboter-Staubsaugertest – ich hab sowas sogar mal gekauft – und selten im Einsatz. Als FRau bin ich aber nicht die Kernzielgruppe der GQ – schade, da ich die Wired ansonste regelmäßig lese – auf diese deutschsprachige Ausgabe verzichte ich (trotz Staubsaugertest – es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sondt nur saugen kann).
    slesch

  4. Mir geradezu aus der Seele geschrieben, danke sehr. Nur beim Geek-Bashing übers Ziel hinausgeschossen: „Tüftler“ wäre eine brauchbare Übersetzung für „Nerd“ – Geeks hingegen verstehen sowohl etwas von Technik als auch vom Geschäft. In der alten Deutschland AG nannte man sowas eher „Wirtschaftsingenieur“.

  5. Sehr schön. Gerne gelesen. Ich muß gestehen, daß ich die klügelnde Attitüde des Herrn K. auch anstrengend finde.

    Etwa wie einen Musiker, der stets denselben Ton spielt und dabei immer lauter wird.

  6. Das Heft find ich ganz gelungen, die iPad-Version noch ein bisschen besser. Die Kürze der Artikel ist dem US-Vorbild entnommen, allerdings gibt es sogar dort ja meist ein paar längere Stücke.. Fehlt tatsächlich ein bisschen.

    Die Geek

  7. Wenn die deutsche „Wired“ so ist, wie Sie sie beschreiben, dann lohnt sich ein Kauf nicht. Um das zu überprüfen, werde ich sie mir morgen jedoch kaufen müssen.

  8. Die Geek / Nerd Diskussion ist albern und nicht auf den deutschen Sprachraum übertragbar, weil „Nerd“ hier niemals „Streber“ sondern immer schon „Schanzenfuzzi mit Hornbrille und Internet-Job“ hieß. Einen Geek einzuführen ist also quatsch.

    Ich finde die Nische spannend – irgendwo zwischen Brand Eins, De:Bug und c’t. Wenn demnächt die Piraten in Berlin in das Berliner Landesparlament einziehen, dürfte sich die fröhliche Nerd-Nabelschau auch noch politisieren.

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