Muss man nicht gutt finden

Es muss zu den undankbarsten Aufgaben der Gegenwart gehören, sich als deutscher Oppositionspolitiker an Karl-Theodor zu Guttenberg abarbeiten zu müssen, denn an dem Verteidigungsminister prallt jede Kritik ab – und das nicht nur, weil er in enger Symbiose mit der Bild-Zeitung lebt, die teilweise den Eindruck eines Fanclubs hinterlässt.
Aber die Kritik prallt nicht nur ab, sie lässt auch diejenigen klein und erbärmlich wirken, die es auf sich nehmen, Deutschlands beliebtesten Minister auf seine Fehler hinzuweisen. Obwohl er als Verteidigungs- und vorher schon als Wirtschaftsminister (und, fairerweise sollte man das immer dazu sagen: als Kabinettsneuling) manchmal erratisch agiert, seine eigenen Einschätzungen und Entscheidungen ohne Erläuterung umwirft und in seiner Inszenierung durchaus auf beiden Seiten der Grenze des guten Geschmacks zu finden ist, entsteht von seinen Kritikern der Eindruck, sie würden ihm ganz einfach nicht gönnen, dass er so unglaublich toll ist.

Karl-Theodor zu Guttenberg schafft es, durch sein Auftreten eine Botschaft zu senden, die praktisch nichts mit dem Inhalt dessen zu tun hat, was er tatsächlich sagt. Ein anderer Minister, der morgens das eine sagt und abends das Gegenteil tut (wie Guttenberg im Fall des Gorch-Fock-Kapitäns), würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Gunst des Volkes sinken. Guttenberg jedoch gelingt es, die Tatsachen mit einer anderen Botschaft zu überstrahlen – und seine Kritiker stehen japsend vor ihm, wie wütende Kinder, die auf und ab springen, während niemand das, was sie brabbeln, ernst nimmt. In einer perfekten Welt würden sie daraus lernen. Stattdessen verzweifeln sie daran.

Der Fehler, den aufgeklärte, progressive Beobachter machen, wenn sie sich darüber die Haare raufen, ist der gleiche, den sie machen, wenn sie nach dem kaum erklärbaren Erfolg von Sarrazins Buch fragen oder nach dem Erfolg der Bild-Zeitung. Und der Fehler ist denkbar einfach: Sie glauben an die Aufklärung. Sie haben den Eindruck, sie selbst würden sich nach Informationen richten, deshalb müssten alle anderen das auch. Wenn nur alle die richtigen Informationen haben, lautet die immanente These, werden auch alle die richtigen, vernünftigen Entscheidungen treffen. Aber leider funktioniert die Welt nicht so, weil wir Menschen nicht so funktionieren.

Kampf der Kulturen
Konservative und Progressive bewerten die selben Informationen offensichtlich unterschiedlich, je nach ihrem vorherrschenden Wertesystem. Unbewusst wird jede Information mit unserem Weltbild abgeglichen (das ist, nebenbei, der Hauptgrund, warum wir überhaupt Journalismus brauchen. Der allergrößte Teil dessen, was wir an Informationen zu uns nehmen, dient der Entwicklung unserer Identität – ansonsten sind die Informationen aus den Medien für unser Leben bis auf wenige Ausnahmen nämlich total ohne Auswirkung). Und unsere Weltbilder unterscheiden sich immens.

Auf eine viel zu einfache Formel gebracht: Aus konservativer Sicht ist die Welt ein Ort voller Gefahren, in der sich jeder einzelne zu behaupten hat. Der wichtigste Antrieb ist der Eigennutz des Einzelnen (Gordon Gecko würde sagen, seine Gier), Bündnisse sind Zweckbündnisse (bis hin zur Ehe, die dem Kinderkriegen dient) und die wichtigste Eigenschaft, um in dieser Welt zu bestehen und sie nicht noch gefährlicher zu machen, ist Disziplin im Sinne von Sich-an-die-Regeln-halten, das wichtigste Ziel ist Sicherheit.
Die progressive Weltsicht unterscheidet sich fundamental: Die Welt ist ein Ort der Möglichkeiten, Gier muss (durch den Staat) eingeschränkt werden, Bündnisse entstehen aus Empathie und Teams arbeiten am besten, wenn jeder seine Stärken einbringen kann. Die wichtigsten Ziele ist Entwicklung und persönliche Erfüllung.

Es gibt die Theorie, dass beide Weltsichten in unserer großen Metapher auf das Zusammenleben im Allgemeinen gründen, der Familie. In jedem Fall zeigt die holzschnittartige Gegenüberstellung, dass wahrscheinlich kaum einer von uns in jedem Teilbereich seines Lebens die reine Lehre vertritt, in der Verkürzung wirken beide naiv, und die meisten von uns werden sich irgendwo treffen, wo die Welt an sich vielleicht nicht böse ist, aber durchaus böse Elemente enthält.

Allerdings lässt sich auf einer tieferen Ebene jedes Thema nur mit einer Tendenz der Weltsicht verbinden. Die meisten von uns haben in Bezug auf bestimmte Themen mal konservative und mal progressive Ansichten, und manchmal sind wir gefangen im Dilemma, wenn wir merken, dass wir keinen echten Werterahmen für ein Problem finden, zum Beispiel eine progressive Vorstellung von Erziehung, aber eine konservative Haltung in Bezug auf jugendliche Straftäter (in Wahrheit sind das wahrscheinlich eher zwei Felder als zwei Seiten des gleichen, aber zur Veranschaulichung). Dabei gibt es eine Tendenz, Probleme aus der konservativen Weltsicht heraus zu kritisieren, weil das einfacher ist: Schuld ist immer der Einzelne, weil er offensichtlich nicht diszipliniert genug war. In der progressiven Weltsicht, in der alles mit allem zusammenhängt und Probleme gemeinsam gelöst (aber auch geschaffen) werden, ist es meist schwieriger, die Ursachen zu benennen.

Disziplin als moralische Kategorie
Vom Jugendlichen Straftäter bis hin zum betrügerischen Bankvorstand: Im konservativen Verständnisrahmen ist immer die Disziplinlosigkeit des Einzelnen Schuld an dem verbrecherischen Ergebnis. Aus dieser Sicht wirkt es dann so, als wäre aus progressiver Sicht nie der Einzelne Schuld, sondern „immer die Gesellschaft“ – was eine Karikatur der wahren progressiven Haltung ist, aber aus einem konservativen Verständnisrahmen heraus wahrscheinlich so wirken muss. Disziplin ist hier die Voraussetzung für Erfolg, und Erfolg immer ein Zeichen für Disziplin. Das hat unangenehme Folgen: Wer Erfolg oder Erfolgreiche kritisiert, befördert aus der konservativen Weltsicht heraus nur die „typisch deutsche Neiddebatte“. Wer auch noch aus der Warte des weniger Erfolgreichen heraus kritisiert, der greift damit automatisch jemanden an, der disziplinierter und letztlich moralisch höher stehend ist als er. Schon das macht den in jeder Hinsicht oben stehenden Verteidigungsminister, der ja nicht nur im Kabinett, sondern auch reich und dazu noch adelig ist, unbewusst für viele zu einem moralisch besseren Menschen. Aber das erklärt noch nicht, warum es der politischen Konkurrenz von links überhaupt nicht gelingt, seine Fehler so zu benennen, dass es jemand ernst nimmt.

Denn zusätzlich bewegt sich der Verteidigungsminister durch sein Amt in einer Welt, in der es nahezu unmöglich ist, nicht den konservativen Verständnisrahmen von der Welt als Bedrohung und der Disziplin als Heilsversprechen anzuwenden. Die moderne, progressive Weltsicht von Teamwork, Motivation und Gemeinsamkeit hat zwar längst Bundesliga-Teams und Weltkonzerne erreicht (und in Wahrheit auch moderne Armeen, zumindest teilweise auch die Bundeswehr), aber nicht die öffentliche Wahrnehmung von Militär. Wenn hier eine Offiziersanwärterin während der Ausbildung zu Tode kommt und der Vorwurf im Raum steht, ihr Tod könnte möglicherweise auf übergroße Anforderungen bei der Ausbildung zurückzuführen sein, schreibt der selbsterklärte konservative Spiegel-Online-Kolumnist Ja Fleischhauer dazu

„Das Problem bei der Ausbildung auf der „Gorch Fock“ ist nicht die Härte des Drills, sondern die Wehleidigkeit der Kadetten“

und

„Unter Feindbeschuss kann man leider auch nicht mit dem Hinweis, man habe noch Sonnencreme an den Fingern, das Gewehr zur Seite legen.“

Die hinter solcher Polemik stehenden Gedanken sind zwar falsch, aber nicht (nur) einfach dumm (Fleischhauer verwendet in seinem Text „das Erlernen des Kriegshandwerks“ und den Kriegsfall derart synonym, dass er es sogar irgendwie unvermeidbar findet, dass Soldaten durch Unfälle sterben). Im konservativen Verständnisrahmen ergeben solche Gedanken tatsächlich einen Sinn. Wenn aber die Fehler immer nur auf das Fehlverhalten, die Wehleidigkeit, letztlich also die Disziplinlosigkeit der einzelnen Soldaten an Problemen Schuld ist, kann den Oberbefehlshaber für die einzelnen Probleme keine Schuld treffen.

Progressive Werte und das Militär
Nun gelten die progressiven Werte für die Bundeswehr. Aus progressiver Sicht dient die Regierung dem Volk, was bedeutet, sie muss transparent agieren. Die Regierung muss ihre Bürger schützen, sie hat eine Fürsorgepflicht, auch für einzelne Soldaten. Im Fall der auf der Gorch Fock abgestürzten Soldatin hat beides zumindest nach dem Unfall nicht funktioniert, als der Verteidigungsminister nicht dafür sorgte, dass das Parlament richtig informiert wird und die Stammbesatzung des Schiffes in einem Brief beklagte, dass sie sich von ihrer Führung allein gelassen fühlte („Wir, die Stammbesatzung der Gorch Fock, fühlen uns sehr alleine gelassen – hier am Ende der Welt.“). Aber die hier kritikwürdig verletzten Werte sind eben keine konservativen, und deshalb schwer in militärischen Zusammenhängen zu vermitteln. Eine Besatzung, die sich allein gelassen fühlt, erhält keine Unterstützung, sondern muss sich dafür aus dem Elfenbeinturm der Spiegel-Redaktion heraus auch noch als verweichlicht verunglimpfen lassen – auch deshalb, weil der zuständige Minister als Ziel für Kritik ganz einfach nicht zur Verfügung stand. Irgendwer muss ja schuld sein.

14 Antworten auf „Muss man nicht gutt finden“

  1. Wahnsinn. Sollte mich dereinst ein Student oder Schüler fragen, was „verkopft“ heißt, weiß ich was ich ihr/ihm zu lesen gebe. Der Blick auf die Welt wird halt doch nicht immer klarer, wenn man zu abstrahieren versucht.

  2. Wenn aber die Fehler immer nur auf das Fehlverhalten, die Wehleidigkeit, letztlich also die Disziplinlosigkeit der einzelnen Soldaten an Problemen Schuld ist, kann den Oberbefehlshaber für die einzelnen Probleme keine Schuld treffen.

    Genau hier liegt aber das Dilemma des im ersten Moment einfacher erscheinenden Konservativismus, er proklamiert die Verantwortung des Einzelnen, schiebt aber eben diese beinahe fröhlich von sich – meist auf das schwächste Glied der Kette. Im Falle des Militärs ist der „wehleidige“ Soldat schuld, nicht etwa der Unteroffizier, der einen schlechten Befehl gab oder gar der Kommandierende, der für die Grundlinie und -stimmung verantwortlich ist.

    Das war früher mal anders, da trat schon mal ein Bundeskanzler zurück, weil er Opfer einer Spähaffäre war. In noch stark feudalistisch geprägten Gesellschaften, wie im Deutschen Kaiserrreich oder im viktorianischen England, brachten sich Offiziere schon mal um, wenn Fehler passierten. Heutige Neokonservative benutzen nicht mehr die Worte ‚die Gesellschaft ist schuld‘, aber sie argumentieren genau so.

  3. Die progressiv-aufgeklärten Guttenberg-Kritiker müssten dann folgerichtig auch den Minister als Produkt der Gesellschaft/seiner Klasse/seines Reichtums betrachten. Aber genau das ist er ja nicht: Ein Karrierist entzieht sich den moralischen Kriterien dieses Denkens.

  4. Bis auf das Wortspiel mit „gutt“ ein angenehm unaufgeregter, wenig klischeehafter Beitrag.
    Natürlich ist Guttenberg nicht so toll, wie manche Medien ihn darstellen, aber es bereitet mir eine gar nicht klammheimliche Freude, wie die kleinlichen Mäkeleien seiner Gegner an ihm abprallen.

  5. Interessante Idee, aber im konkreten Fall funktioniert sie nicht so richtig. Guttenberg hat den Kapitän suspendiert, ohne ihm Disziplinlosigkeit, Regelverstoß oder Ungehorsam vorzuwerfen. In der öffentlichen Darstellung scheint es so, dass der Minister den Kapitän für die Zustände an Bord allgemein verantwortlich macht (obwohl die im Detail noch nicht geklärt sind) und ihn wegen dieser Pauschalverantwortung ohne konkreten Vorwurf abstraft. Guttenberg tut das auch, damit er nicht selbst dafür geradestehen muss. Wenn es um Disziplinlosigkeit ginge, müsste Guttenberg sich den Offizier greifen, der die Kadettin in die Takelage gejagt hat. Wenn aber die konservative oder progressive Deutung eines Unglücks schon in diesem Fall so eng verwoben sind, frage ich mich, was mir die Unterscheidung eigentlich bringen soll?

  6. @royse: Nein, das System ist hier ein anderes: In dem auf Disziplin ausgelegten, konservativen Modell (George Lakoff würde sagen: Das Strenger-Vater-Modell) funktioniert alles, so lange sich jeder an seine Regeln hält. Ein Fehler ist dann der Fehler eines Einzelnen, nicht einer der Gemeinschaft (das Prinzip „Ein fauler Apfel“), während im progressiven Modell in der Gemeinschaft einer für den anderen einsteht und zunächst geschaut würde, ob nicht im System etwas falsch läuft, wenn es zu solchen Ergebnissen führt.

    Du hast recht mit Guttenberg und dem Versuch, sich von der Verantwortung zu isolieren. Das hat übrigens nichts mit seiner persönlichen Haltung zu tun: Der konservative Innenminister Rudolf Seiters hat nach Bad Kleinen die politische Verantwortung übernommen und ist zurückgetreten, obwohl ihm selbst keinerlei Fehlverhalten nachgewiesen wurde (so weit ich mich erinnere wurde es nicht einmal ernsthaft vorgeworfen).

  7. @mikis: Seiters ist ein sehr gutes Beispiel für eine unerwartete Reaktion. Auf der anderen Seite könnte man den brandenburgischen Bildungsminister Rupprecht (SPD) nennen, der sich in seiner Dienstwagenaffäre nicht auf unklare Vorschriften und die Einstellung der Ermittlungen herausgeredet hat, sondern wegen seines Fehlers zurückgetreten ist.
    Mein Problem ist die Begriffswahl für die beiden Verhaltensweisen. Zum einen ist es ein wenig putzig, Leuten immer mal wieder „untypische“ Verhaltensweisen attestieren zu müssen. (Das unterstellt nämlich, wir wüssten, sie sie eigentlich – „typischerweise“ – sind) Zum anderen kann das bei der Analyse eher hinderlich sein. Es ist eben nicht immer konservativ, nach individueller Verantwortung für ein Unglück zu fragen und es ist nicht per se progressiv, nach Fehlern im System zu suchen. (Es gibt auch konservative Verschwörungstheorien etwa in den USA) Oft verrät die Herangehensweise mehr über den Journalisten als über den Fall, den er schildert. So etwa Artikel, die vor der endgültigen Aufklärung des Mordes an der schwedischen Außenministerin Anna Lindh über seine Hintergründe geschrieben wurden. http://www.zeit.de/2003/39/Schweden, http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Lindh
    Ich finde, die journalistische Neugier sollte sich unbefangen der einen oder der anderen Herangehensweise bedienen, um die Wahrheit herauszufinden. Das hängt auch vom Einzelfall ab. Bei der Katastrophe von Tschernobyl kann ich kaum von Systemversagen reden, weil einige Leute Teile des Sicherheitssystems bewusst abgeschaltet haben, um bestimmte Komponenten zu testen. Und wenn die Bahn auf Deubel komm raus an der Wartung spart, kann sie sich bei Verspätungen nicht mit Schnee im Winter oder Selbstmördern herausreden.

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