Bild gewinnt. Gegen den Journalismus

Am Freitagmorgen erschien Deutschlands größte Tageszeitung mit dem selbstbeweihräuchernden Artikel „Bild behielt recht“, zu dem ich mich bereits ausführlich geäußert habe. Am Nachmittag fuhr ich zur Promotionsfeier einer Cousine, der offenbar ersten Griechin, die für eine Arbeit über deutsche archäologische Funde den Doktorgrad verliehen bekam (normalerweise ist es anders herum). Ihre Mutter und ihre Schwester waren aus Griechenland gekommen. Die Schwester mit ihrem kleinen Kind. Und es war ein schöner Nachmittag und Abend, auch weil wir es schafften, die drückenden Themen in die Raucherpausen vor das Restaurant am Meer zu verlegen, in dem wir feierten: Meine kleine Cousine mit dem kleinen Kind ist zu Ende Juli gekündigt worden. Ihrem Mann hatte man gerade gesagt, dass er nur noch vier Tage die Woche zur Arbeit kommen kann, weil die Konjunkturlage mehr nicht hergibt. Die Familie steht jetzt mit weniger als der Hälfte des Einkommens da, das sie noch vor einem Jahr hatte, und selbst da hatte es aufgrund der Preissteigerungen kaum gereicht. In Griechenland kostet ein Pfund Butter inzwischen fünf Euro. Und meine Tante hat einen großen Teil ihrer ohnehin knappen Rente an das Sparpaket verloren. Wie wird es weitergehen? „Niemand weiß, was morgen ist. Oder ob morgen noch ist.“

Paul Ronzheimer ist der so genannte Journalist, der nach Griechenland gefahren ist und sich auf dem Athener Syntagma-Platz fotografieren ließ, wie er vor demonstrierenden Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen, mit Drachmen-Scheinen wedelte wie mit Bananen vor Affen im Zoo. Nikolaus Blome ist der Mann, der jede verfügbare Zahl aus dem Zusammenhang gerissen hat, um zu belegen, dass diese Menschen faul und zu korrupt sind und deshalb nichts Besseres verdienen. Wenige Stunden, nachdem sie ihren gemeinsam verfassten Artikel darüber, dass sie immer recht hatten, veröffentlichten, lief klein und kaum beachtet die Nachricht über den Ticker, dass das griechische Konsulat in Berlin in der Nacht von Vermummten mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen worden war. Der Mob hatte sich ein Ventil gesucht für den Volkszorn auf die faulen, korrupten Griechen, die sie aus der Bild-Zeitung und aus den Ausführungen der Bundeskanzlerin kennen.

Heute läuft die Nachricht über den Ticker, dass Ronzheimer und Blome für ihre Griechenland-Berichterstattung den Herbert-Quandt-Preis für Wirtschaftsberichterstattung erhalten, dotiert mit 10000 Euro – mehr Geld, als es viele normale, arbeitende Familien in Griechenland im Jahr zur Verfügung haben, obwohl die Lebenshaltungskosten in Athen längst höher sind als in Berlin.

Ich kann nicht einmal sagen, dass es vor allem Verachtung ist, die ich empfinde. Natürlich empfinde ich die auch, aber was soll das bei Menschen, die offensichtlich keine Scham empfinden können. Für mich bedeutet die Auszeichnung der Werke dieser beiden auch eine weitere und vielleicht entscheidende Niederlage des Journalismus, wie ich ihn verstehe. Eine Branche, in der das, was diese beiden tun, preiswürdig ist, ist verloren.

PS. Heute Mittag hat mir Dr. Jörg Appelhans geschrieben, Vorstand der Johanna-Quandt-Stiftung, wofür ich mich bedanke. Mit seiner Zustimmung veröffentliche ich hier seine Mail an mich.

Sehr geehrter Herr Pantelouris,

in Ihrem Blog üben Sie Kritik an der Vergabe des diesjährigen Herbert Quandt Medien-Preises. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gern auf folgendes hinweisen:

Wir haben nicht die Berichterstattung der „BILD“ zu den sogenannten „Pleite-Griechen“ ausgezeichnet, sondern eine sehr faktenstarke und an wirtschaftspolitischen Hintergrundinformationen reiche Reportageserie aus dem Herbst 2010 über das Zustandekommen des EU-Beitritts Griechenlands. Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen diese Serie zur weiteren Meinungsbildung zukommen lassen.

Im übrigen ist die Würdigung und Auszeichnung von journalistischen Leistungen immer auch geprägt von subjektiver Betrachtung. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir aufgrund des in der Jury zum Herbert Quandt Medien-Preis versammelten journalistischen Sachverstands auch in diesem Jahr wieder eine gute und richtige Wahl getroffen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jörg Appelhans
Vorstand

Der versammelte journalistische Sachverstand, der hier angesprochen wird, sind der HR-Intendant Dr. Helmut Reitze und die Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff (Tagesspiegel) und Roland Tichy (Wirtschaftswoche), die neben Johanna und Stefan Quandt in der Jury sitzen.

Ich persönlich halte schon die Argumentation, dass eine fünfteilige Serie innerhalb einer inzwischen mehr als hundertteiligen Hetz-Kampagne preiswürdig sein kann für völlig unhaltbar – abgesehen davon, dass auch die Serie selbst im gleichen Stil verfährt –, aber ich danke hier ganz ausdrücklich für die Bereitschaft zur Diskussion.

70 Antworten auf „Bild gewinnt. Gegen den Journalismus“

  1. Och Herr Beduhn, so schwer ist das doch alles nicht zu verstehen. Man kann sich natürlich auch blöder stellen als man ist.

  2. Ich bin vor zwei Tagen von einem zweiwöchigen Griechenland-Aufenthalt zurückgekehrt und war vor Ort auch entsetzt

    1. Wie sehr die Berichterstattung in deutschen Medien („Qualität“ und Boulevard gleichermaßen) von der tatsächlichen Situation vor Ort abweicht.

    2. Was für einen enormen Schaden Merkel’s billige Demagogie und deren mediale Wiederkäuerei hinsichtlich der Völkerverständigung bewirkt.

    Die Ursachen der besonderen Krise in Griechenland sind komplex und über die Schuldfrage und -verteilung lässt sich streiten. Das ein großer Teil der Grichen jedoch weder die Hilfe der EU, noch des IMF wünscht ist eine meist unterschlagene Tatsache. Deutschland als großzügigen Retter nach Hilfe flehender Griechen zu stilisieren ist eine extreme Verzerrung der Realität.

    Das Land hätte m.E. (vor allem im Interesse der Griechen) den Staatsbankrott erklären müssen. Im letzten Jahr hat sich die Situation nur verschlechtert, die faulen Kredite von Banken und Privatinvestoren wurden mal wieder sozialisiert. Die androhende Privatisierungswelle macht eine wirtschaftliche Erholung nach der immer noch drohenden Pleite zusätzlich um einiges schwerer.

  3. Ich finde es wenig verwunderlich, das Monopolisten anderen Monopolisten Preise verleihen. Ist schließlich ein altbekanntes Phänomen, dass die Scharlatane sich gegenseitig Titel und Auszeichnungen verleihen.

  4. Ich bin davon überzeugt, daß Griechenland erst dann „pleite gehen“ und/oder den Schuldenschnitt machen darf, wenn sich alle privaten Firmen die entsprechenden Staatsbesitz-Stücke des griechischen Staates gesichert haben (natürlich für wenig Geld – auch Privatisierung genannt). Denn dann ist da nix mehr zu holen, dann kann es ruhig den Bach runter gehen…(und die Schulden werden einmal mehr sozialisiert. Abartig, das Ganze.

  5. @ OBS
    Ich wundere mich nur über diesen Satz hier:

    „Dies führt zu
    dem Schluß, dass es sich bei „Bild“ in summa um kein journalistisches Produkt handelt, sondern um einen
    fachlich noch neu zu definierenden Kommunikations-Hybriden…“

    Was gibt es denn da NEU zu definieren? Da gibt es ein ganz treffendendes, altes Wort: PROPAGANDA.

    Guckst Du hier:
    „Propaganda bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern, zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion.[1] Der Begriff „Propaganda“ wird vor allem in politischen Zusammenhängen benutzt; in wirtschaftlichen spricht man eher von „Werbung“, in religiösen von „Missionierung“.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda

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